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Dear Life. Hello.

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Begegnung mit der Dunkelheit

12/16/2016

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Ich weiß es nicht. Ich weiß einfach nicht, wie ich damit umgehen soll. Kann. Muss. Wie mach ich das? Wie schau ich mir die Nachrichten an, ohne zu verzweifeln? Wie schaff ich es, mich nicht bodenlos zu schämen, wenn ich dem Augustinverkäufer diesmal nur 50 Cent für den Kaffee gegeben habe und dem Nächsten gar nur ein ängstlich mitleidiges Lächeln? Wie schau ich mir Bilder der Tageszeitungen an und traurige Kinderaugen auf Plakatwänden und fahre danach mit meinem Alltag fort, als hätte ich das Dunkle nicht gesehen? Müßte ich nicht längst alles fallen und liegen lassen und mich der Welt auf nützlichere, selbstlosere Art und Weise widmen? Ich weiß ja von Armut und Krankheit, von Krieg, von sterbenden Tieren, von der Macht des Geldes und vom schmelzenden Eis. Zumindest in Schlagzeilen. Ein paar Geschichten habe ich gehört, manche ferner, manche näher. Und ich bin keine dieser dickhäutigen Personen, für die die Welt nun mal so ist. Ich bin so eine, die in Tränen ausbricht, wenn sie sonntags den Standard aufschlägt und auf Seite 18 den Blick eines jüdischen Mädchens in gestreiftem Hemd trifft.  Nach solchen Begegnungen arbeite ich dann manchmal Tage lang daran, mich emotional wieder zu fangen.  Tage, in denen ich nicht mehr weiß, warum ich mir Sorgen um meine Miete gemacht hatte. Oder darüber, wie meine Karriere verläuft. Alle meine sieben Sorgen relativieren sich augenblicklich und wirken belanglos in Anbetracht der Traurigkeit dieser Welt, in Anbetracht der dunklen Seite. Die Erleichterung, die das Schrumpfen meiner Sorgen zu Folge hat, ist jedoch fürchterlich gering im Verhältnis zum Weltschmerz und zur Ohnmacht, die mich überkommen. Nicht nur meine Sorgen scheinen belanglos, sondern auch ich.
     Ich schwanke zwischen dem Vorhaben, das Keksebacken einzustellen, die Adventskerzen auszupusten, den Rucksack zu packen und nach Aleppo zu fahren und dem Gefühl der absoluten Machtlosigkeit und Resignation. In beiden Fällen kämpfe ich darum, meinen Alltag rechtfertigen zu müssen - einerseits vor der Bettlerin in der U4-Station, die bei Minusgraden nur Badeschlapfen über Socken trägt, und andererseits vor Sterntaler, dem Vorbild an Selbstlosigkeit. Und ich stelle in Frage, ob mein Leben überhaupt rechtzufertigen ist. Hab ich denn das Recht, ein Familienfestmenü zu planen, wenn so viele Menschen hungern? Hab ich das Recht, mich über die so herrlich übertriebene Weihnachtsbeleuchtung am Graben zu freuen? Man bedenke den Energieverbrauch und auch die finanzielle Investition, die anderswo doch so viel dringender gebraucht wird. Ich weiß es nicht.
     Sicher ist allerdings, dass Ohnmacht und Resignation der Welt nicht helfen. Und ich glaube, dass es ebenfalls nicht zielführend ist, Schönes zu verringern und Gutes zu unterdrücken. So würde ich dem Grauen ja den Platz räumen. Dem Dunklen. Vielleicht also hat Doris Knecht recht, wenn sie in ihrem aktuellen Artikel im Kurier sagt: "Spenden ist besser, als gar nichts tun." Und einmal doppelte Kuchenladung zur Flüchtlings-Unterkunft zu bringen oder Weihnachten in den Schuhkarton zu packen, ist besser, als gar kein Geschenk. Glas und Alu zu recyclen ist besser, als nur Müll zu produzieren. So wenig wie möglich Plastik zu kaufen, ist besser, als für jede Obstsorte ein neues Sackerl zu nehmen. Besser demonstrieren zu gehen, als sich hinter dem Bildschirm aufzuregen. Besser auch, wenigstens den Konsum tierischer Produkte zu reduzieren, als sie alle auszubeuten und aufzufressen. Jedenfalls definitiv besser, mich um Mitmenschen und Umwelt zu kümmern, als eben nicht - unabhängig davon in welchem Rahmen und in welchem Ausmaß. Egal wie hoch die gespendete Summe, egal wie klein oder groß die gute Tat. Und trotz all den ungelösten Problemen, die dennoch parallel immer noch existieren. Besser ein bißchen, als gar nicht. Und möglicherweise fällt es mir dann irgendwann nicht mehr ganz so schwer, die Zeitung aufzuschlagen und mich dennoch über das Weihnachtsglitzern zu freuen.
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    Julia Koch

    Schauspielerin.
    Schreibende.
    ​In Wien.
    ​

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