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Dear Life. Hello.

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Ein Liebesbrief

8/31/2018

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Lieber Herr W.!

Ich habe mich ich dem Augenblick in dich verliebt, als du aus dem Zug gestiegen bist und mich über die Köpfe der Menschen am Bahnsteig 9 hinweg angelächelt hast. Ganz einfach war das. 
     Du hattest mir geschrieben – mir, einer Fremden – denn meine Worte hatten dir gefallen. Journalistische Neugier hattest du es genannt. Und deine Worte wiederum hatten ebensolchen Anklang in mir gefunden. Also hatte ich geantwortet. Und nun standst du da am Bahnsteig, angereist aus einer anderen Stadt, weil ich vorgeschlagen hatte, über das Briefeschreiben hinauszugehen, sich doch zu treffen, statt sich in digitaler Ferne zu bewegen. Ohne Erwartungen, hatte ich betont. Ohne Vorstellungen davon, was passieren sollte oder wie der andere wohl sein möge. Wir wollten uns einfach anschauen und sehen, was der Tag bringt. Ein Experiment sozusagen. Denn ich hatte die Couch satt, die vier Wände, den Bildschirm. Ich wollte ausbrechen, was Neues entdecken, auf ein Abenteuer gehen. Der ankommende Zug war lang, viele Menschen strömten zu und von den sich öffnenden Türen und du tratst aus eben jener Türe, die direkt vor mir zum Stillstand gekommen war. Wir haben uns sofort erkannt. Und gelächelt. Ich war nicht sonderlich nervös gewesen, ein wenig aufgeregt vielleicht, aber dann warst du da und hast gelächelt, und in mir machte etwas klick. Noch in der Bahnhofshalle hast du bemerkt, ich gefalle dir. Etwas verunsichert über deine direkte Offenheit aber doch geschmeichelt wußte ich nicht, was ich erwidern sollte. Mir war deine elegante Nase natürlich auch gleich aufgefallen, und die weiße Zahnreihe, dein Blick. Aber ich schwieg verlegen. Im Café hast du mir von deiner Kindheit erzählt und von Dingen, über die du angeblich schon sehr lange nicht mehr gesprochen hattest und die deine Stimme brüchig werden ließen. Ich wollte meinen Arm über den Tisch strecken und dir meine Hand auf die Wange legen, aber sie blieb schwer in meinem Schoß und ich hörte nur still zu. Dann hast du zugehört. Lange. Wir entdecken Gemeinsamkeiten, auf die du jedes Mal eifrig hingewiesen hast, vermutlich um eine Verbindung herzustellen, die mir ohnehin da zu sein schien. Immer wieder spürte ich deinen Blick von der Seite auf mir ruhen, als wir Arm in Arm eingehängt durch die Stadt spazierten, an dem einen einzigen regnerischen Tag der letzten Monate. Ich linste auch gelegentlich zu dir rüber, wenn ich glaubte, du bemerktest es nicht. Fragte mich, wie es wohl wäre, mit den Fingern durch deine Wuschelhaare zu fahren und versuchte in deinem Gesicht zu lesen, in dem Gesicht, für das ich bereits nach kürzester Zeit eine solche Zuneigung empfand, dass ich mich ermahnen musste, mein eigenes Gebot, keine Erwartungen an den Verlauf der Dinge zu stellen, einzuhalten. Ich sagte mir, ich konnte nicht in einen fremden Mann verliebt sein, der eben erst vor zwei Stunden aus dem Zug gestiegen war. Aber ich habe nicht wirklich viel Mühe darin investiert, einen kühlen Kopf zu bewahren. Und du hast es mir auch nicht leicht gemacht, einen klaren Blick zu behalten mit deinen Komplimenten, deiner Aufmerksamkeit, deinen angedeuteten Absichten. Denn du sprachst von Beginn an vom nächsten Mal. Beim nächsten Mal wolltest du mir deine Stadt zeigen. Beim nächsten Mal wolltest du für mich kochen - Fisch vom Markt. Beim nächsten Mal würden wir in ein Restaurant gehen, in dem wir beide noch nie waren, das wir beide aber immer schon besuchen wollten. Dieses Mal aßen wir nicht sonderlich viel. Einen Single Malt nach dem Frühstück und Eis zum Abendessen. Du Haselnuss und Walnuss-Feige, ich Haselnuss und Nocciolone. Walnuss-Feige war auch sehr gut. Du hast es mich kosten lassen. Mich überkommt heute noch Lust auf ein Walnuss-Feigen-Eis, wenn ich an diesen Moment denke. Du hast eine Serviette unter dem Tischbein des schwankenden Tisches fixiert, dich wieder aufgerichtet und mir die Haare aus dem Gesicht gestrichen. Du hast mir viele Fragen gestellt, und ich habe aus ganzem Herzen geantwortet. Wir hörten nicht auf zu reden, bis du spät abends wieder in den Zug gestiegen bist, am schwülen Meidlinger Bahnhof. Die Zeit war uns beiden wie im Flug vergangen. Ein ganzer Tag wie eine Stunde. Der verspätet eintreffende Zug schenkte uns zusätzliche zwanzig Minuten. Zwanzig Minuten, in denen wir nah voreinander standen und von belanglosen Dingen sprachen, auf die ich mich nicht konzentrieren konnte, weil meine Augen immer wieder über deinen Mund huschten und ich schlucken musste. Ich wartete, ich wußte nicht wie. Ich wußte nicht ob. Die Minuten vergingen und schlussendlich kam der Zug dann doch, verspätet zwar, aber viel zu früh. Du hast gesagt, du hättest dir mich aus der Ferne nicht besser vorstellen oder erwarten können als die, die ich tatsächlich war. Nicht, wenn du es versucht hättest. Hast mich umarmt. Ich hab mich an dich gedrückt. Dann stiegst du in den Zug und ich ging ohne zu winken, wendete mich ruckartig ab und lief die Treppe hinunter. Ich wollte mich umdrehen, aber ich lief. Als ich zuhause die Wohnungstüre öffnete und meine alte Welt betrat, blieb ich für einen Moment überrascht darüber, dass diese noch existierte, stehen und schaute mich um. Alles noch da. Als wäre ich nie weggewesen, aber so fremd, als käme ich eben erst von einer monatelangen Reise zurück. Ich öffnete den Kühlschrank, das Gemüse war noch frisch. Die Tasse, aus der ich morgens Kaffee getrunken hatte, stand noch in der Abwasch, und mein Bett wartete ruhig auf mich wie jede Nacht. Es schien meine Abwesenheit nicht bemerkt zu haben. Nichts und niemand hatte meine Abwesenheit zu Kenntnis genommen. Nur ich wußte davon. Wußte, dass von nun an eine zweite Welt für mich real geworden war, eine Parallelwelt wie Narnia, die man durch die Schranktüre oder eine Zugfahrt betreten konnte. Du riefst an, um mir zu sagen, dass du nicht gehen hattest wollen und dass du hofftest, es bliebe nicht beim bloßen Experiment. Die Verbindung auf Schienen war schlecht, das Gespräch riss immer wieder ab, aber ich konnte hören, dass es dir ernst war und lächelte mit dem Handy am Ohr, als ich selig auf’s Bett sank und mit offenen Augen einschlief. 
     In den folgenden Tagen musste ich immer wieder den Kopf auf den Tisch legen und innehalten. So saß ich da über den Schreibtisch gebeugt, die Stirn auf Holz, und konnte an nichts anderes denken als an den vergangenen regnerischen Sonntag. Die Sätze, Worte, Berührungen, Blicke... Ich konnte nicht schreiben, nicht schlafen, nicht essen. Wie auch beim Single Malt, den wir getrunken hatten, kam der volle Geschmack des Tages erst mit dem Ausatmen. Und auch du schriebst, du denkst an mich. Du freust dich schon sehr auf unser Wiedersehen. Jedes Pling das mein Handy von sich gab, jagte einen Hauch von Schauer durch meinen ganzen Körper. Unsere flüchtige Begegnung breitete sich von Tag zu Tag mehr in mir aus, entfaltete sich, stieg mir in den Kopf und ich fürchtete, mich in diesem Gefühl vollständig aufzulösen. Zu zerbröseln. Ich erinnerte mich an deine Worte: du hättest auch noch viel länger auf mich gewartet. Und so wartete ich nun auch, auf das nächste Mal. Voll der Erwartungen jetzt und zum Trotze meiner Vernunft, deren leise Stimme ich doch immer wieder wie durch Watte hören konnte und die mich auf den Irrsinn aufmerksam machen wollte, auf die Unmöglichkeit der vermeintlichen Situation, auf die Absurdität der Gefühle, die Unwahrscheinlichkeit des Zufalls, des ausgemalten Schicksals. Aber meine Sehnsucht überwog. Schwer. Ich wollte nicht loslassen. Auch nicht, als deine Anrufe seltener wurden und die Nachrichten nüchterner. Ich bemerkte wohl, und ich schimpfte mich selbst: ich hätte die Pferde besser im Stall gelassen. Die Hunde an der Leine. Die Katze im Sack. Und die Tassen im Schrank. Ich warnte mich, ich wäre dann vollkommen selber schuld, wenn alles doch ganz anders käme. Und das tat es. Es kam alles anders: es kam nicht. Nichts kam mehr. Kein nächstes Mal. Erst hast du mich vertröstet und dann abrupt aufgehört, mir zu schreiben. Als ich anrief, teilte mir eine freundliche elektronische Stimme mit, dass dieser Teilnehmer nicht zu meiner Verfügung stünde. Wieso sagte sie mir das? Wieso sie und nicht du? Wir waren so höflich gewesen miteinander, du und ich. Ausgesprochen höflich und freundlich. Respektvoll. Wie kam es, dass du dich so plötzlich und radikal verzogen hast, ohne Abschiedsworte und ohne Erklärung? Es ist mir ein absolutes Rätsel. Absolut unerklärlich. Wobei: nicht unerklärlich, sondern unerklärt. Und es fällt mir nicht leicht, zur Ruhe zu kommen und dich einfach aus meinen Gedanken zu streichen. Du hast mich zu sehr aufgewühlt, durcheinandergebracht, aufgeweckt aus meinem beinahe hundertjährigen Dornröschenschlaf. Und jetzt bin ich wach. Bin da. So was von da. 
     Lieber Herr W., inzwischen sind nun doch etliche Wochen vergangen und der Höhenflug, der unser Zusammentreffen bei mir ausgelöst hatte, verlieh mir - trotz schlussendlicher Verzagtheit - so viel Energie, dass ich mein Leben ordentlich ausschütteln und durchputzen konnte. Des Rätsels Lösung hätte ich halt gerne. Das Warum, das Was. Was ist passiert, Was ist los. Es scheint mir ein Herzinfarkt das Naheliegendste. Eine Lungenentzündung, die dich an ein Krankenhausbett fesselt. Ein Burnout vielleicht. Ich mutmaße, du könntest gekidnappt und verschleppt oder überraschend und überstürzt nach Nord Korea versetzt worden sein. Alles scheint mir stimmiger, als die einfachste Lösung, die ich nicht denken mag. Also. Klär mich auf. Aus reiner Höflichkeit. 
     Ich bereue nichts. Schon gar nicht meine überbordend freudigen Gefühle über das mit dir erlebte Abenteuer. 
Julia


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    Julia Koch

    Schauspielerin.
    Schreibende.
    ​In Wien.
    ​

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