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Dear Life. Hello.

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Frühlingsgefühle

3/10/2018

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Die Wetter-App sagt vierzehn. Heute. Wien. Der Thermometer vor meinem Fenster zeigt fünfzehneinhalb Grad an. Und ich meine: gefühlte achtzehn Grad. Mindestens. Die Differenz zu den in den letzten Wochen herrschenden, eisigen Minusgraden ist so eklatant und der Wechsel so abrupt, dass man heute leicht zu Übermut neigen kann. So erkläre ich mir jedenfalls die Geschehen des Tages. Nicht die aus den Nachrichten – die kann man wohl an keinem Tag so wirklich erklären  – sondern die meinigen, für die ich das überfallsartige Frühlingsgefühl verantwortlich mache. 
     Heizung aus, Fenster auf, Fellpatschen und Wintermantel in den Schrank, Jeansrock von hinten rausgekramt, Haare offen, Tuch statt Schal, ach was! – Tuch auch weg, und beschwingten Schrittes in die Bücherei. Und da saß er. Der Mann. Der Frühlingsmann. Nie passiert mir das. Nie. Also selten. Richtig selten. Dass ich einen sehe, der mich zweimal hinschauen lässt. Und dann noch ein paar Mal, weil ich checken muss, ob ich mich nicht vielleicht getäuscht habe und er doch nicht der ist, für den ich ihn im ersten verwegen Augenblick gehalten habe: für einen Mann, der mich anzieht, der lange vergessene Ideen in mir wach werden und Bilder aufsteigen lässt. Nie passiert mir das, dass ich über meine Füße stolpere, weil jemand meinen Blick gefangen hält, dass ich gegen eine Glastür knalle und ein Stapel sorgfältig sortierter Zettel durch die Luft wirbelt, dass ich eine Kaffeetasse fallen lasse vor Verzückung. Nie.
     Ich wollte eigentlich zu den Bildbänden und Fotografien in den oberen Stock. Verwirrt drehte ich mich einmal nach links, einmal rechts, schaute mich vermeintlich suchend um und griff kurzerhand nach dem obersten Buch des Stapels neben mir. Omas fetteste Kuchen stand da. (Kann das sein? Oder hieß es wohl eher Omas beste Kuchen? Oder Omas feinste Kuchen?) Ich blätterte mit gesenktem Kopf eine Seite nach der anderen um, ohne hinzuschauen. Die Augen nach vorne gerichtet, dorthin, wo er saß. Er hatte den Kopf ebenfalls gesenkt. Smartphone. Er saß nahe der Toiletten auf einer Bank. Kein Buch auf dem Schoß oder neben sich. Vermutlich wartete er auf seine Freundin, die jeden Moment vom Toilettengang zurückkehren würde. Also wartete ich auch. Blätterte durch die fetten Kuchen und linste immer wieder zu ihm rüber, um keine Regung zu verpassen. Die Toilettentüre öffnete sich, aber die ältere Dame mit Strickweste schlurfte langsamen Schrittes an ihm vorüber. Er hatte den Blick nicht gehoben, als sich die Türe geöffnet hatte. Meine Hoffnung stieg – vielleicht doch keine Freundin. Die Minuten vergingen. Minuten, in denen er immer attraktiver wurde. Ja, dachte ich mir, ja, so gefällt mir das – was für Haare! Er saß zwar, schien mir aber groß zu sein, starke Hände am dünnen Smartphone, braunrötlicher Bart, nicht zu hipster, eher wild, und braune Augen, die er jäh hob. Direkt blickte er in meine Richtung. So plötzlich wie der Temperaturwechsel in der Stadt stieg auch meine Körpertemperatur, und ich konnte fühlen, wie meine Wangen rot anliefen. Muss das denn immer sein, herrje. Ich knallte das Buch mit Omas fetten Kuchen zu und drehte mich ruckartig weg. Ich war mir gar nicht sicher, ob er mich angesehen hatte oder doch an mir vorbei. War nicht ganz so deutlich gewesen. Vielleicht hatte er ja einen leichten Silberblick, wie ich. Oder den Kate-Moss-Blick, da schauen die Augen auch nicht ganz geradeaus. So oder so, es war mir also nichts klar. Sicherheitshalber verschwand ich erst mal zwischen zwei Bücherregalen und suchte die Buchrücken nach Titeln ab ohne zu lesen und überlegte, was zu tun war. Fieberhaft suchte ich nach Szenarien für Kontaktaufnahme, aber ich konnte mich nicht konzentrieren, weil sturmartig Bilder von trauter Zweisamkeit durch meinen Kopf stoben – Lagerfeuerromantik, Brautkleider, Veronika, der Lenz ist da! Lalaaalala lalalala und Sonnenuntergänge. Das simple Hallo kam mir nicht in den Sinn. Ging in diesem Tohuwabohu unter. Ich wußte jedoch, ich konnte diese Möglichkeit nicht einfach verstreichen lassen. So schnell würde bestimmt keine Nächste kommen. Und ich hatte ja auch nichts zu verlieren. Ich fand, es war besser mich eventuell zu blamieren, als die Dinge unversucht zu lassen. Also... Just in diesem Moment hörte ich ein Papaaa! – und dieser hörte es auch. Jetzt hob er den Blick und steckte sein Smartphone weg, wodurch auch sein Ehering zum Vorschein kam. Mist!!! Mist, Mist, Mist, Mist! Nie passiert mir das! Nie! Und dann doch. Und dann so was! Dann das: in Sechsjähriger und ein Ehering! Bäh.
     Trotzig verließ ich die Bücherei. Trotzig kickte ich ein paar Kiesel, die immer noch auf den inzwischen schneefreien Straßen lagen, trotzig ging ich einkaufen, und grantig stellte ich fest, dass die letzte Buttermilch ganz hinten im Kühlregal war, wo ich nicht rankam. Insbesondere da ich bereits vollbeladene Hände hatte. Ich hatte keinen Wagen genommen. Eigentlich brauchte ich ja nur Milch und Äpfel. Aber dann gab es vier Stück Bio-Kiwis um nur einen Euro und die Kohlrabi, die Gurke und die Tomaten passten so zu den gefühlten achtzehn Frühlingsgraden draußen. Und so weiter und so fort, vollbeladene Arme jedenfalls. Aber die Buttermilch wollte ich dann eben auch noch haben, wegen des Banananutbreads, und so kletterte ich auf das unterste Kühlregal und kroch mit dem Kopf voran in das oberste Fach, den einen Arm ganz ausgestreckt, die Fingerspitzen am Halblitertetrapack kratzend, der dadurch immer noch ein Stückchen weiter von mir wegrutschte. Ich zitterte schon ein wenig. Dann eben kein Banananutbread! Mit dem gekühlten Ellbogen fegte ich beim Rückzug zwei, drei Sauerrahms aus dem Regal und jemandem an den Kopf. Einem Mann. Auch dieser hatte braune Augen und roch nach Frühling. Say whaaaaat!?? Zwei an einem Tag? Niiiieeeee passiert mir das doch?! Wieder Lagerfeuerromatik, Brautkleid, Sonnenuntergang, Veronika etc. Aber diesmal war ich ja quasi schon vorbereitet: Hallo, wollte ich sagen. Hallo. Und vielleicht Entschuldigung wegen der Sauerrahms! oder was ähnlich Elegantes. Aber bevor ich dazu kam, purzelten die vier Bio-Kiwis eine nach der anderen über meinen Arm auf den Boden. Noch während ich mich nach ihnen bückte, fielen die Tomaten. Und dann die Gurke. Kein Schmäh. Eines nach dem anderen. Da hatte ich nun meinen Zettelwirbel-Moment. Sehr ungünstig. Als ich endlich alles wieder in Ordnung gebracht und mich aufgerichtet hatte, war auch der zweite Frühlingsmann verschwunden.
     Vierzehn Grad sind eben keine achtzehn. Und eben noch nicht Frühling. Deswegen hab ich dann doch noch mal den Schal aus der Kiste geholte, Tee gemacht und warte auf den Zwanzigsten des Monats.
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    Julia Koch

    Schauspielerin.
    Schreibende.
    ​In Wien.
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