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Dear Life. Hello.

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Jetzt und Drang

6/16/2018

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Ich mache einen Schreibkurs. Montag bis Freitag plus Hausübung. Die Streberin in mir setzte die Brille auf und platze vor Freude. Ich laufe zu Höchstform auf, wenn ich eine Aufgabe bekomme, wenn wir im Kurs gegenseitig unsere Schriften lesen und besprechen, wenn es einen vorgegebenen Rhythmus gibt und ein Gruppengefüge. Ich habe mich vom ersten Tag an wieder wie die Klassensprecherin gefühlt, die ich einst war. Damals noch mit roter Kinderbrille. Heute ist sie braun. Die Befriedigung ist dieselbe. 
     Für mich ein Ausnahmezustand, dass Zeit in meinem Leben in kleine Abschnitte wie Schulstunden unterteilt wird. Dass ein Rhythmus vorgegeben und zu erreichende Ziele gesetzt werden. In meinem Berufsfeld muss man sich üblicherweise eine eigene, sinnvolle Struktur bauen. Ich genieße die Vorteile der schreibenden Schauspielerin, die ich bin. Ich möchte meine Freiheiten nicht tauschen gegen das enge Korsett der rigorosen Zeiteinteilung und ebenso rigorosen inhaltlichen Vorgaben und Begrenzungen, die manche Arbeit mit sich bringt, und dennoch geht eben auch meine Freiheit Hand in Hand mit Schwierigkeiten und Herausforderungen. Ich bin mir beispielsweise nie sicher - weder in materieller Hinsicht und auch nicht, was die eigene Ausrichtung anbelangt. Ist das richtig, ist das gut, bringt das was, macht das Sinn, was ich da tue? Wird das was? Ich denke da oft drüber nach und finde eigentlich jedesmal auch tatsächlich, das ist ganz stimmig so, mein Weg. Meine Entscheidungen. Aber dass man das nicht nur denkt, sondern auch so empfindet und sich selbst Sicherheit geben kann… na ja.
     Und dann auch immer dieser Drang in mir. Irgendwas drängt. Nicht nur nach Sicherheit, nach mehr. Nach Erfolg vielleicht. Anerkennung. Wert. Und dann Zufriedenheit. Nach dem ominösen großen Glück vielleicht. Nicht nur nach dem kleinen Bourbonvanille-Glück. Es macht mich durchaus glücklich, wenn Bourbonvanille in meinem geeisten Kaffee ist. Es macht mich glücklich, wenn ein Brot besonders knusprig aus dem Ofen kommt. Wenn ich vollkommen verschwitzt nach dem Frühmorgenlauf in die Dusche springe. Wenn die Sonne scheint. Wenn ich irgendwo am Berg stehe und kilometerweit keine Menschenseele zu sehen ist. Wenn mich mein Neffe Jula ruft. Wenn die Hose sich wieder leichter schließen läßt. Wenn ich einen Anruf bekomme, ich möge doch zum Casting erscheinen. Wenn sich sonntagvormittags ein fremder Leser mit freundlichen Worten bei mir rührt. All diese Dinge machen mich glücklich. Und trotzdem: Drang. Dieses Streben nach mehr, nach vermeintlich größeren Dingen. Schon immer auch die alte Weisheit des kleinen Glücks vor Augen: im Jetzt leben, jetzt sein. Den Moment wahrnehmen. Ich kann mich wunderbar begeistern für den Augenblick. Für Waldluft und staubige Straßen, für in Wassertiefen schwebende Beine, für lange Gespräche und spontane Worte. Und dann aber - direkt neben dem Wissen um den Augenblick - meine Visionen und Wünsche, unbefriedigte Bedürfnisse und daraus resultierender Bewegungsdrang, Entwicklungsdrang, Fortschreitungsdrang. Und irgendwie scheint sich das manchmal zu widersprechen. Der Drang übertönt das Jetzt und will weiter, will fort, will Veränderung, will schon in die Zukunft. Manchmal auch zurück - das ist dann noch ein bisschen blöder, weil wirklich schwierig machbar. Aber meistens eben in die Zukunft. Alleine das Wort Zukunft glitzert. Schreibe ich Zukunft, glitzert es in meinen Augen. Schreibe ich Jetzt, zappeln die Beine. 
     Lebe ich also von der Illusion? Von allem was Nuss beinhaltet und von der Träumerei? Vielleicht darf man das auch nicht ganz so getrennt betrachten, das kleine Glück, das große Glück, den Drang, die Unsicherheit und mich. Vielleicht hängen wir Fünfe ja mehr zusammen als ich annehme.

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    Julia Koch

    Schauspielerin.
    Schreibende.
    ​In Wien.
    ​

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