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Dear Life. Hello.

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Haare hin, Haare her

10/28/2018

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Unlängst beim Friseur. (Endlich doch.) Zwei Frauen sitzen hinter der Spiegelwand, die den Raum in der Mitte teilt, die Köpfe mit Handtuchturbanen bedeckt, die Gesichter hinter Frauenmagazinen versteckt. Eine junge, rundliche Frau mit dunkel geschminkten Augen und punkig pinken Strähnen in den Haaren kehrt den Boden. Hallo. Die Stimme hoch und sanft überrascht mich. Der Andi wird gleich bei mir sein. Aha. Alles still bis auf den Besen, der weich wie die Stimme der Friseurin über den Boden fegt und abgeschnittene Haare einfängt. Der Andi hat blondierte Haare mit einem dunklen Ansatz. Ich kann nicht einordnen, ob das modern oder nachlässig ist. Da er um einige Jahre jünger zu sein scheint als ich, tippe ich allerdings auf ersteres. Der Andi grinst breit und befördert mich mit einer schwungvollen Begrüßung auf den Lederstuhl gegenüber der beiden bereits sitzenden Damen auf der anderen Seite der Spiegelwand. Ich bin nervös. Immer beim Friseur. Viel schlimmer als Zahnarzt. Viel. Man weiß nie, wie die Welt hinterher aussehen wird. Schon als Andi nur zur Bürste greift, zucke ich zusammen. Vor der Bürste fürchte ich mich fast mehr als vor der Schere. Ich bin nicht schmerzempfindlich, aber jedes Mal, wenn mir jemand die Haare kämmt, habe ich Angst, es werden mir zu viele davon ausgerissen. Also wiege ich den Kopf mit den Bewegungen der Bürste mit, um den Zug auf die Haarwurzeln vermeintlich zu verringern. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass trotzdem viele Haare in der Bürste zurückgeblieben sind. Den Andi kümmert das nicht. Während er mir den Kopf einschäumt, erzählt er mir fröhlich von seiner Oma im Waldviertel, mit der er unlängst gestritten hat. Es ist halt nicht immer einfach als Zwilling mit einer Skorpionoma. Das verstehe ich. Ansonsten sind die Beiden aber so, und er kreuzt Zeige- und Mittelfinger, an denen der Schaum herabrinnt. Ich will keinen Conditioner im Haar. Weil ich später noch Haare färben werde zuhause. Und da darf kein Contitioner im Haar sein. Der Andi akzeptiert das. Er muss mich halt dann nochmal kämmen nach dem Waschen und mir noch mehr Haare ausreißen, weil ohne Conditioner sind die Haare wirr. Ich mache einfach die Augen zu, bis mein Kopf wieder still steht und der Andi flötet: Sodala. Was machen wir denn heute? Seit Jahren will ich nun schon Stirnfransen, war aber immer zu ängstlich, um das Vorhaben in die Tat umzusetzen. Regelmäßig stehe ich vor dem Badezimmerspiegel zuhause, nehme die vordere Haarpartie hoch und drücke mir die Haarenden wie einen großen Pinsel auf die Stirn. Dann kneife ich die Augen leicht zusammen - so kann ich mich der Illusion besser hingeben - zupfe ein bisschen herum, drehe den Kopf links und rechts und lasse die Haare dann ganz plötzlich wieder fallen und schiebe sie wie gewohnt zur Seite, um den Unterschied beurteilen zu können. Jedes Mal gefalle ich mir mit den langen, gewohnten Haaren besser. Aber ich sage mir, dieses Pinselponymanöver ist mit Sicherheit nicht das, was ein echter Pony sein würde. So kann man das doch nicht erkennen. So ein ausgefranster Pinsel ist ja kein Haarschnitt. Und dann halte ich mir das Haarbüschel nochmal hoch und kneife die Augen noch etwas fester zusammen. Das muss doch einfach gut aussehen! Bei der Frau auf dem Unterwäschewerbungsplakat von Skiny sieht das auch super aus. Der Andi fragt nochmal, was wir denn heute machen. Ich blicke ihm im Spiegel besorgt entgegen, beiße mir auf die Unterlippe und sage dann verzagt: Ich weiß es nicht. Die Frauenzeitschriften mir gegenüber werden etwas gesenkt und gehobene Augenbrauen schieben sich synchron über den Rand des Lesematerials. Kritische Blicke treffen mich durch den Spalt in der Spiegelwand. Ich drehe mich also zum Andi um und erkläre ihm direkt, um welches Bild meine Vorstellungen kreisen. Ich habe nämlich eines mit. Ein Bild. Ich weiß natürlich, dass ich ihm damit keine Freude mache mit meinem Bild von Kate Moss und der Bitte: So will ich ausschauen. Solche Bilder sind der Todfeind der Friseure. Gegen solche Bilder haben sie keine Chance. Wenn jemand so ein Bild mitbringt, haben sie schon verloren, noch bevor sie angefangen haben. Das weiß ich natürlich. Bin ja nicht blöd. Also verpacke ich die Bildzeigeaktion in eine Begleiterklärung, die ich so hastig aufsage wie die Sprecherinnen der Apotheken- und Arzneiwerbungen ihr G’satzl. Ich wisse eh, dass ich nicht so aussehe wie die Frau am Bild, aber sie habe eben auch eher dünne Haare vorne, also habe ich mir gedacht, vielleicht würde das bei mir dann ähnlich wirken? Der Andi zieht die Luft durch die Nase ein und hält sie kurz an. Er schaut unbewegt auf das Bild von der blonden Frau mit den langen, glatten Haaren. Dann sieht er mich an, legt den Kopf etwas schief, kneift die Augen zusammen, wie ich das vor dem Badezimmerspiegel immer mache, und sagt, er könne sich das schon vorstellen. Aber am Ende des Satzes steht ein Fragezeichen. Ich kann mir das schon vorstellen? Die Stimme geht hoch, die Augen werden noch schmaler. Als trainierte Schauspielerin erkenne ich die Anzeichen natürlich sofort: der Andi kann sich das nicht vorstellen, dass ich jemals so aussehen werde wie die Frau am Bild. Große, große Skepsis. Vermutlich meint der Andi, Stirnfransen sind das Letzte was wir heute machen sollten. Vermutlich meint der Andi, bei mir und meinen Haaren ist überhaupt Hopfen und Malz verloren. Aber der Andi erkennt die flehende Verzweiflung in meinen Augen und sagt nochmal: Oh ja, ich kann mir das schon vorstellen! Diesmal mit Rufzeichen. Die Skepsis nun in meinem Gesicht drehe ich mich zurück zum Spiegel und starre mich an. Jetzt nimmt der Andi einen Haarbüschel von meinem Hinterkopf (Aha, von hinten also!) und hält mir einen etwas geordneteren und frisierteren Pinsel vor die Stirn. So verharren wir beide einige Sekunden, beide die Augen halb zugekniffen, wie ein Standbild im Spiegel. Na?, fragt der Andi dann. Ich sage immer noch nichts. Starre weiter. Da beschließt der Andi, mir ein paar Minuten zu geben. Ich solle ihn rufen, wenn wir wissen, was wir heute machen. Die Frauenzeitschriften von gegenüber werden geräuschvoll umgeblättert. Dahinter jetzt nur die Turbane sichtbar und lange, lackierte Fingernägel. Ich kaue mir fast die Unterlippe wund. Der Andi kommt zurück. Er hat nicht so lange warten können, bis ich ihn rufe. Machen wir das!, sagt er. Ich glaub, das wird gut!, sagt er. Die wachsen ja eh wieder nach!, sagt er. Ich gebe ihm recht. Dann sagt der junge Andi noch, man wird im Alter wahrscheinlich immer weniger mutig. In jüngeren Jahren nehme man sich solche Entscheidungen nicht so zu Herzen. Etwas erschüttert pflichte ich ihm bei und trotzdem, noch kleinlauter nun: Beim nächsten Mal dann, Andi, ok? Heute bitte doch nur nachschneiden. Na gut, dem Andi ist es wurscht. Er macht mir das gerne so wie ich das will. Und wie wäre das denn bitte? Wie viel sollen wir den nachschneiden? Stufen oder keine Stufen? Stumpf geschnitten? Vorne etwas länger oder doch gerade rum? Wie in Zeitlupe hebe ich die Schultern und lasse sie resigniert wieder fallen. Dass selbst beim Nur-Nachschneiden so gravierende Entscheidungen zu treffen sein würden, war mir nicht klar gewesen. Nun kann ich die Verzweiflung auch in Andis Augen lesen. Mit kleinen Tränen in den Augen flüstere ich: Mach einfach wie du meinst. Die Turbandamen rollen nun hinter ihren Schutzschilden mit den Augen, ich kann das spüren. Aber der Andi läßt sich das nicht zweimal sagen. Schnell greift er zur Schere und legt los. Was ich an Zeit bisher vertrödelt hab, holt er beim Schneiden wieder rein. Keine Hemmungen hat er da, der Andi. Nie hab ich einen Friseur so schnell schneiden gesehen. Zack zack, Haare ab. Zack Zack, Stufen rein. Hände, Schere, Kamm, wuscheln, Kamm, Schere, fertig. Fönen werde ich mich zuhause. Das will ich dem armen Andi nicht auch noch zumuten. Er hilft mir noch in die Jacke und ringt mir ein Versprechen ab: wenn ich mich denn dann doch endlich für die Stirnfransen entscheide, dann darf aber er das machen, der Andi aus dem Waldviertel. Ich hebe die Hand zu einem Salut an die Stirn und deute damit die Ponylänge an, bevor ich mit nassen Haaren den Friseursalon verlasse, erleichtert darüber, alles heil überstanden zu haben. Die Welt sieht aus wie immer. Ich sehe aus wie immer. Nichts hat sich verändert. Und dieses Mal ist mir das recht. Man wird halt älter.
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    Julia Koch

    Schauspielerin.
    Schreibende.
    ​In Wien.
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