L.
  • Blog
  • Prolog
  • Index

Dear Life. Hello.

Picture
Picture
Picture
Picture

Ich, das Kindermädchen

5/27/2017

0 Comments

 
Picture
Nicht stressfrei. Aber mein liebster Job. Ein Job, den ich nicht gesucht hatte. Eines Tages kam er zu mir, kreuzte meinen Weg und war da. Erst für ein paar Tage, dann Wochen, dann Jahre. Fiel mir sozusagen in den Schoß und hieß Hannah. Acht Monate alt an jenem Tag damals, an dem wir uns kennenlernten.
    Ich war gerade aus L.A. zurückgekehrt und traf an einem nebligen Novemberabend in der Neubaugasse einen alten Freund, den ich seit langer Zeit nicht gesehen hatte. Einen ehemaligen WG-Mitbewohner. Eigentlich den ehemalige WG-Mitbewohner, schließlich war Roland in all den Jahren, in denen wir ein Zuhause geteilt hatten, fast so was wie ein Bruder für mich geworden. Diesen Roland also rannte ich um, als ich aus einem Geschäft auf den Gehsteig trat, den er entlang stürmte. Und Roland schleppte mich gleich mit, weil der Roland eben so ist: Komm mit, komm mit. Ich eigentlich müde und wollte nach Hause, ausserdem stand noch ein Lebkuchengewürz auf meiner Einkaufsliste, das ich vor Ladenschluss besorgen musste. Aber Roland ließ nicht locker: Komm mit, komm mit. Also erzählte ich von L.A. und hörte von seiner letzten Beziehung, während wir quer durch Wiens Straßen und Gassen liefen und schließlich unten im Fünften vor einer Haustüre stehen blieben, wo Roland, der Fotograf, befreundeten Auftraggebern Fotos übergeben wollte. Er hatte bei der Taufe deren Tochter fotografiert, und dieses kleine Mädchen machte uns nun die Tür auf. Genau genommen der Vater des Mädchens. Aber das Kind war auch da. Hannah. Ein paar Worte wurden gewechselt, ein paar Gläser Wein getrunken und nach Verabschiedung drehte ich mich im Stiegenhaus nochmal um und sagte: Wenn ihr eine Babysitterin braucht, ruft an. Und das taten sie. 
     So begann ich, Windeln zu wechseln und Brei zu kochen. Erst waren es nur lange Spaziergänge, aber bald wurden daraus halbe und dann ganze Tage. Tage, die ich am Spielplatz verbrachte oder in Polster-Höhlen. Tage, an deren Ende mir das Kreuz weh tat, weil ich Hannah lieber in der Trage trug als im Kinderwagen vor mir herschob. Tage, an denen ich mit den Nerven vollkommen  am Ende war, wenn Hannah nicht gut drauf war. Und Tage, an denen ich im Glück schwebte, wenn wir gemeinsam lachten und sie mich nicht und nicht mehr loslassen wollte. Sie hatte sich schnell an mich gewöhnt und lief mir, sobald sie laufen gelernt hatte, immer schon entgegen, wenn ich sie abholte. Die Verabschiedung hingegen war oft fürchterlich. Sie krallte sich an mir fest und weinte und verstand nicht, warum ich wieder gehen wollte. Ich habe mich ebenso schnell an sie gewöhnt und an manchen Abenden konnte ich es gar nicht erwarten, sie am nächsten Tag endlich wiederzusehen. So vergingen die Jahre. Dann kam Jakob auf die Welt. Der Stressfaktor stieg. Zwei Kinder. Wieder Windeln, wieder Fläschchen, wieder Nächte mit Babyschreien und Schweiß auf der Stirn. Wieder schön.
     Mir ist durchaus bewusst, dass mein Job nicht gleichzusetzen ist mit dem Elternsein. Natürlich ist es etwas anderes, wenn man die Kinder am Ende des Tages wieder „abgeben“ kann und weder die finanzielle Verantwortung noch familiäre Pflichten und Aufgaben hat. Und dennoch fühlt es sich manchmal sehr nah dran an. Nah dran am Elternsein. Ich fühle mich auf eine Weise mit diesen Kindern verbunden, die mich manchmal aus Versehen meine Kinder denken lässt. Ich empfinde mich als wesentlichen Teil des Lebens von Hannah und Jakob. Und sie sind ein Teil des meinigen. Ein Teil, den ich nicht missen möchte. Ein Teil, für den ich sehr dankbar bin. Es mag ein fürchterliches Klischee sein, aber jedes einzelne Mal, wenn Hannah auf der Straße automatisch nach meiner Hand greift, durchflutete mich ein Gefühl von Stolz und Glück. Und als der  inzwischen dreijährige Jakob kürzlich lässig im Türrahmen lehnte und mir mitteilte, wie sehr er mich liebte, schmolz ich dahin.
​     So hat das Schicksal mir also Roland und sein „Komm mit. Komm mit.“ über den Weg geschickt und mich zu einer Türe gebracht, hinter der mich ein Teil meines Lebens erwartete, von dem ich nicht gewusst hatte, dass ich ihn brauchte.
​

0 Comments



Leave a Reply.

    Julia Koch

    Schauspielerin.
    Schreibende.
    ​In Wien.
    ​

    RSS Feed

Proudly powered by Weebly
  • Blog
  • Prolog
  • Index