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Dear Life. Hello.

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Kein Talent zum Sterben

9/2/2018

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Heute muss ich ein bisschen jammern. Weil es so super war. Und jetzt vorbei und ich im Post-Dreh-Blues. Und ich wünschte, es wäre noch nicht zu Ende. Oder würde schon weitergehen. Mit meinem letzten Drehtag hat sich auch die Sonne verzogen, und so weile ich nun drinnen und mir fällt die Decke ein bisschen auf den Kopf. Die Ruhe stört mich. Ich sehne mich zurück ans aktive Set. Ich hyperventiliere immer ein bisschen, wenn ich daran denke. Und das tue ich viel. Ich gehe alles in Gedanken und Erzählungen wieder und wieder durch und will die Tage noch nicht gehen lassen. Dabei hatte ich gar keine großen Erwartungen an den bevorstehenden Dreh gehabt. Hatte mich eher auf ein paar gewöhnliche, möglicherweise anstrengende Arbeitstage mit viel Warterei eingestellt. Außerdem hatte ich den im Drehbuch beschriebenen emotionalen Szenen mit recht viel Skepsis entgegengeblickt. Erstens, weil so was am Papier oft spröde wirkt. Sperrig. Man sieht sich in Gedanken schon vor Kamera dann mit den Sätzen herummurksen. Man kann sich einfach nicht vorstellen, wie das irgendwie authentisch und wahr werden soll. Je mehr ich versuche, mich in die kommende Situation vor der Kamera einzufühlen, umso platter wird die Szene in meinem Kopf, bis sie schlussendlich ausschließlich aus Klischees zu bestehen scheint. Weil die Vorstellung vom Tun etwas anderes ist als das Tun selbst. Das Fühlen dann. Und weil beim Lesen des Textes spontan schon Gefühle entstehen, die man aber nicht sofort umsetzt und auslebt, sondern irgendwo in sich staut. Und diese Gefühle beginnen sich zu drängen, irgendwo hin zu wollen, sich im Kreis zu drehen, und in einer Spirale schrauben sie sich hoch zum Abbild eines Ausdrucks statt zum Ausdruck selbst. Und dieses Abbild zeigt sich mir immer in melodramatischer Façon. Ein Klischeebild, das mich stört, das mir im Weg ist, das mich irritiert und nervös der tatsächlichen Arbeit dann entgegenfiebern läßt.
​     Gut, ich also jedenfalls schon recht verzwickt, noch bevor ich mit dem Zug zur Dreh-Location fuhr. Erstens war das. Und zweitens kam erschwerend hinzu, dass ich an eben jenem Serien-Set vor einigen Jahren meine allererste TV-Dreh-Erfahrung gemacht hatte, die einen sehr bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen hatte. Damals hatte ich einfach keinen blassen Schimmer, was auf mich zukommen würde. Ich war noch nie auf einem vergleichbaren Set gewesen, hatte noch nie so gearbeitet und war nicht nur unsicher, sondern fühlte mich auch vollkommen verloren. Es war keine Anleitung mit dem Skript gekommen. Keiner bereitete mich auf die Arbeit vor, nirgendwo stand erklärt, wie so ein Dreh ablaufen würde, was meine Aufgaben waren, wie man sich zu verhalten hatte, was üblich oder unüblich war, wie ein Filmteam funktionierte, wie die Tage aussehen würden und wie alleine man nachts im Hotel war. Ich hätte mir damals so was gewünscht wie eine Ikea-Anleitung für TV-Filmsets. Mit Nummern und Bildchen von Requisiten und Akteuren, Orten und Abfolgen. Leider nein. Also ein Sprung ins kalte Wasser. Und das quasi auch noch wörtlich: ich nämlich Mordopfer am Fluss. Ich habe viel gefroren und stöckelte in Sandaletten und dünnen Strümpfen über Stock und Stein und durch die für mich holprigen Drehtage. Wurschtelte mich irgendwie durch, starb auf Kommando und flüsterte im letzten Augenblick vor meinem Tod noch panisch planlos einer routinierten Kollegin zu: Soll ich die Augen zu machen oder offen lassen, wenn ich tot bin? Sie zuckte mit den Schultern, die Regie rief Und bitte! Und mein mordender Halbbruder kam auch schon mit dem Stein auf mich zu. Ich flehte halbherzig um mein Leben, mit den Gedanken schon bei der ruckartigen Kopfbewegung, mit der ich den Steinschlag andeuten sollte, während mich ein Scheinwerfer blendete, die Felsen unter mir in meine Wirbel drückten, ein Bein eingeschlafen, der Nacken steif und die Hände zittrig waren. Letzteres passte der Regie ganz gut ins Bild, und das musste dann auch an Sterbenskunst genügen, weil für mehr keine Zeit blieb. Mitternachts war Schluß. Mit dem Glockenschlag wurde der Drehtag beendet, und ich verließ das Set mit blutig verklebten Haaren, schlotternden Knien, blauen Lippen und dem Gefühl, komplett versagt zu haben. So grauenvoll schlecht war bestimmt noch niemand vor mir gestorben. Und ich fragte mich: Für was nur? Für was das alles? Dafür, dass dann Fernsehzuschauer an einem Abend in ihrem Leben um 20:15 Uhr einer untalentierten Sterbenden zusehen durften, wie sie im kühlgefärbten Rückblendenmodus erst in Zeitlupe den dunklen Hügel hinuntergestoßen und dann mit einem Stein erschlagen wird?
     In der verbleibenden Nacht nach dem tödlichen Drehtag tranken wir recht viel, meine beiden Kollegen und ich. Der Verdächtige, der Mörder und das Mordopfer in der Hotelbar. Der Barkeeper ließ uns einen Kellnerblock da und  bat uns, darauf  Strichen zu machen und das Geld dann passend in die Kassa zu legen. Er wollte ins Bett. Wir nicht. Jeder Gin-Tonic ein Strich am Block. Jeder Gin-Tonic eine Sorge weniger. Jeder Gin-Tonic ein Kichern mehr.  Viele Gin-Tonics: Schauspieler down. Hinter der Bar am Boden liegend, Beine vor Lachen zappelnd in der Luft, erkannte ich, dass ich nun wohl eine dieser grauenvoll schlechten Darstellerinnen war, die ich bis dahin nur am Bildschirm verfolgt und völlig arrogant mit Beschimpfungen bedacht hatte. Unsere Gin-Tonic-Gespräche führten zu eben dieser existenziellen Erkenntnis, und schlussendlich landeten wir dort, wo geplatzte Illusionen und Gin-Tonic meistens hinführen: bei detaillierten Schilderungen von erotischen Abenteuern. Und so nahm meine erste TV-Set-Erfahrung dann doch noch eine überraschend freudige Wendung mit einer Set-Freundschaft, die sich bis heute gehalten hat. Aber auch die Ernüchterung über die Arbeit am TV-Set hat sich in meinen Knochen festgesetzt.   
   Und so trat ich nun, ein paar Jahre später, meine Zugreise in Richtung Drehort mit sehr gemischten Gefühlen an. Aber dann. Dann kam diesmal alles ganz unverhofft super. Einfach weil ich in der Zwischenzeit Erfahrungen gesammelt und offensichtlich dazugelernt hatte. Ich konnte diesmal schon wesentlich besser umsetzen, was ich umzusetzen hoffte. Nicht perfekt natürlich. Immer noch nicht grandios. Aber ganz passabel. Fand ich. Hinterher hätte ich zwar am liebsten nochmal von vorne angefangen, weil ich alles noch soooo viel besser machen hätte können, aber jedenfalls war ich schon zufriedener mit meinem Beitrag als beim ersten Mal. Und plötzlich stellte sich die Frage Für was das alles? gar nicht mehr.  Plötzlich war mir einfach alles recht so, wie es war. Ich fühlte mich genau richtig. Am richtigen Ort und zur richtigen Zeit. Eingebettet ins Setleben wie eine Katze in ihrem Lieblingskörbchen. Miau.
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    Julia Koch

    Schauspielerin.
    Schreibende.
    ​In Wien.
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