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Dear Life. Hello.

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Sag mir was

2/12/2021

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Wenn mich jemand kecke Schlaubergerin nennt, dann kriege ich weiche Knie. Die Worte fliegen zu meinen Ohren rein, explodieren sanft im Kopf und jagen einen kleinen Schauer durch meinen Körper. Wenn sich jemand auszudrücken weiß, imponiert mir das. Natürlich steht der Inhalt des Gesagten an erster Stelle, aber ich stehe einfach auf Sprache. Und damit meine ich nicht unbedingt Eloquenz, sondern alle möglichen Ausprägungen und Aspekte der Sprache. In Vergessenheit geratene Redewendungen, kaum benutzte Ausdrücke, aber auch Akzente und Eigenwilligkeiten der ganz persönlichen Sprache einer Person. Oder der Mut, den manche aufbringen, Dinge auszusprechen, die mir nicht über die Lippen kommen. Direktheit. Fasziniert mich ebenso wie eine aufregende Stimme. Ich liebe es, wenn mir als Schauspielerin klug überlegte Sätze in den Mund gelegt werden, und wenn ich mir selbst beim Schreiben kluge Sätze überlege. Ich stöbere gerne nach Synonymen von Wörtern und drehe und wende Beschreibungen gelegentlich sehr lange, bis ich eine Formulierung finde, die mich beglückt. Oft liege ich nachts wach, die Augen an die dunkle Zimmerdecke geheftet, und schreibe im Kopf. Manchmal ganze Geschichten oder Gespräche. Es kommt vor, dass ich wegen etwas, das ich eine Person in meiner Vorstellung sagen lasse, laut auflache. Dann finde ich mich ein bisschen clever. So unterhalte ich mich selbst. Der wertvollste Aspekt der Sprache ist mir aber dennoch die Verbindung, die zwischen Menschen entstehen kann. Kontakt. Schon durch einzelne Worte. Den Namen etwa. Nennt mich jemand beim Namen, bin ich augenblicklich beim Gegenüber, wach und voller Erwartung. Wenn ich in meinem Leben zurückschaue, sehe ich, dass es meistens die Sprache war, über die ich mich anderen Menschen angenähert habe. Eine elegante Nase und eine Elvistolle sind durchaus sexy, aber nicht ausschlaggebend, ob mich jemand fesselt. Ein fettes Bankkonto und ein fettes Auto sowieso nicht. Hat alles seine Vorteile und Reize, klar, aber was mich anzieht, ist etwas anderes: Kontakt. Die Spannung, die zwischen Menschen knistert, wenn man sich verbindet. Durch Blicke, durch Berührungen und: durch Sprache. 
    Am Nachhauseweg vom Kindergarten erklärte mir ein gleichaltriger Freund, seine Lieblingsspeise sei Zahnarzt. Ich verstand nicht, was er damit sagen wollte, aber dieser dreiste, kleine Surrealismus löste in mir große Bewunderung aus und ist mir bis heute im Gedächtnis geblieben. Einige Jahre später, als ich etwa dreizehn war, zog in das halb verfallene Haus nebenan, in dem völlig überteuerte Zimmer an dunkle Gestalten vermietet wurden, ein sehr blasser, strohblonder Junge ein. Er kam aus dem Krieg des Nachbarlandes und schien mir wild. Wir trafen uns abends in der kleinen Holzhütte auf der Wiese zwischen unseren Häusern. Die Hütte war winzig, und wir mussten hineinkriechen, um durch die Türe zu passen. Je in einer Ecke am feuchtkalten Boden sitzend unterhielten wir uns mit wenigen englischen und deutschen, bruchstückhaften Sätzen. Fasziniert hat mich aber seine Muttersprache, die immer dann durchkam, wenn er sich ereiferte. Ich bat ihn, mir einzelne Wörter beizubringen und notierte diese so, wie ich sie hörte, in einem kleinen Blöckchen. Nicht ein einziges Mal haben sich unsere Hände berührt, die des strohblonden Jungen und meine, aber den kleinen Block mit meinen Notizen legte ich vor dem Schlafengehen unter mein Kopfkissen. In meiner Studienzeit löste eine Schwärmerei die andere ab: serbisch, türkisch, amerikanisch, spanisch, kärntnerisch. Der Kärntner sagte am Telefon zu seiner Mutter, die sich nach dem Wetter in Wien erkundigt hatte: „Es schneibelt.“ Das hat mir so gefallen, dass ich mich, noch bevor er das Telefonat beendete, schon in ihn verliebt hatte. Der Amerikaner dann nannte mich Babygirl, was damals, in meiner von hollywoodscher Kinowelt geprägten Vorstellung von Romantik, genügte, um mir ein Yes zu entlocken. Eines mit Rufzeichen: Yes! Und der Serbe gefiel mir, weil er so ohne Schnickschnack direkt zum Punkt kam. Ganz ernst. Beinahe ein wenig traurig. Ich arbeitete zu jener Zeit in einer Videothek, und er schaute offensichtlich sehr gerne Filme. Ob wir uns mal treffen wollten, fragte er ganz schlicht mit einem grammatikalisch nicht ganz korrekten Satz und mit deutlichem Akzent, mit dem er mir später Geschichten erzählte, die die Traurigkeit in seinen Augen erklärten. Den Spanier habe ich nur aus der Ferne angehimmelt, von meinem Platz im Hörsaal aus. Ich lauschte dem weichen Lispeln der Vorlesung, ohne ein Wort zu verstehen. Vielleicht der einzige Unterrichtsraum, in dem ich immer stumm geblieben bin. Dort und im Thaibox-Studio. Hier war ich einige Monate lang von diversen Sprachen, Dialekten und Akzenten umgeben. Deutsch sprach kaum jemand. Nur der Trainer. Allerdings mit türkisch-österreichischem Habitus. Oft fehlten die Verben und alles wurde auf das Nötigste verknappt: „Schau! So: rechts, links, rechter Haken und Headkick. So.“ Und jedes Mal, wenn man sich für eine Übung paarweise zusammen tun sollte, und ich in der Gruppe der hünenhaften Kämpfer als einzige Frau über blieb, deutete Ilhan, der Trainer, mit dem Kinn auf mich und ordnete an: „Du mit mir.“  Worauf ich stumm nickte und mich zwischen meine in Boxhandschuhen steckenden Fäuste duckte. Selten so geschwitzt. Selten war mir so heiß. 
    Nur mit dem Wienerischen wurde ich lange nicht warm. In meinen Vorarlberger Ohren klang der Wiener Dialekt wie eine zähe, sich endlos dehnende Raunzerei. Der gemeine Wiener hörte sich für mich so an, als ob er sich vom Leben außergewöhnlich ungerecht behandelt fühlte und darüber hinaus konstant von einer latenten Übelkeit begleitet wurde. Er sparte nicht damit, diesem Leid in Form von plattgedrückten, grantig langgezogenen Vokalen Ausdruck zu verschaffen. In der Straßenbahn, beim Greißler ums Eck, am Bürgersteig, bei zu verrichtenden Dienstleistungen, hinter einem Schreibtisch oder vor dem Fernseher sitzend, dem gemeinen Wiener schien nie zu passen, was das Schicksal ihm servierte. Diese unversöhnliche Haltung dem Leben gegenüber, dieser Grant, der jagte mir immer Angst ein, und ich zuckte oft schuldbewusst zusammen, wenn ich ein „Geh bitte, heast!“ hörte. Und ein „San Sie deppert?!“ hing mir tagelang nach. Tage, an deren Ende ich mich in den Schlaf weinte. So war das mit dem gemeinen Wiener und mir anfangs. Ich entwickelte daraufhin sogar einen gewissen Ekel vor bestimmten Worten. Alles, was auf -erl endete zum Beispiel. Ein Sackerl, ein Salzstangerl, ein Busserl. Und es ist bestimmt ein Jahrzehnt vergangen, bevor ich zum ersten Mal eine Topfengolatsche beim Bäcker kaufte, weil ich das Wort nicht aussprechen wollte. Dabei aß ich die so gerne, die Topfengolatschen. Es war damals nicht einfach für mich in Wien. Außerdem war hier alles immer ur fad, ur oarg und ur mühsam, und bei jedem Ur rümpfte ich unwillkürlich die Nase. Ich hegte eine tiefe Abneigung und legte dem Dialekt gegenüber eine äußerst skeptische Reserviertheit an den Tag. Und so hatte es der gemeine Wiener auch nicht gerade leicht mit mir. Zu seinem Glück war ihm das allerdings vollkommen blunzn, was ich von ihm und seiner Sprache hielt. Er warb nicht um mich. Völlig unerwartet also veränderte sich unsere Beziehung dennoch grundlegend. Eines Tages war es mir einfach nicht mehr zuwider, im Geschäft nach einem Sackerl zu fragen, und ich verabschiedete mich ab sofort nur noch mit "Ciao, Bussi, Babaaa". Meine Abneigung kippte so plötzlich in Zuneigung, wie das nur bei so Dingen wie Koriander und Operngesang passieren kann. Dinge, die die Menschheit in zwei Lager spalten: leidenschaftliche Befürworter und ebenso leidenschaftliche Gegner. Die Trennlinie zwischen den beiden Lagern ist so schmal, dass ein Wechsel auf die andere Seite sehr abrupt verläuft. Aus blanker Verachtung wird in einem unbemerkten Augenblick heiße Liebe. So auch bei mir. Urplötzlich war ich beste Freunde mit dem Wienerischen, und seither flaniere ich Arm in Arm mit ihm durch die Stadt. Der Grant des gemeinen Wieners amüsiert mich jetzt, und sein Raunzen lässt mich schmunzeln. Und wenn er dann beispielsweise noch findet, dass ich fesch bin, eine kecke Schlaubergerin oder ein kleiner Wildfang, dann Feuerwerk zwischen den Ohren und weiche Knie. Deswegen habe ich ihn inzwischen auch schon geküsst. Den gemeinen Wiener.
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2 Comments
Anna-Miriam
2/20/2021 10:31:47 am

Ich liebe deine Sprache und deine Bilder. Der Text hat mich grad liebevoll gefesselt.

Reply
Julia
2/20/2021 12:33:03 pm

Danke dir, Anna-Miriam, freut mich sehr!

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    Julia Koch

    Schauspielerin.
    Schreibende.
    ​In Wien.
    ​

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