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Dear Life. Hello.

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Staub, Dreck und Schweiß

8/13/2018

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2012 
Einzug in die Wohnung. Der Garderobenboden macht mir zu schaffen. Es handelt sich um graublaues, gesprenkeltes Linoleum, das sich in meinen Augen mit nichts kombinieren läßt. Mit nichts. Also behandle ich die Garderobe äußerst unfreundlich. („Stiefmütterlich“ wollte ich eben schreiben, und mir fällt auf, was für eine ungünstige Verknüpfung von Wort und Bedeutung das ist.) Ich mache also nichts aus der Garderobe. Sie fungiert als Lager, als Raum, der den Straßendreck auffängt, und als Fahrradabstellplatz. Meinen Gästen sage ich immer, sie müssen die Augen zu machen, wenn sie durch die Garderobe gehen. Manchmal mache ich selber die Augen zu.
     In den folgenden Jahren ärgere ich mich konstant über den Eintritt in mein Zuhause. Jedes mal, wenn ich reinkomme, denke ich kurz Äh. Bäh. Aber es läßt sich angeblich nicht wirklich was an der Situation ändern. Ich hab gefragt. Ein Holzboden wäre höher als das entfernte Linoleum und ließe die Türen nicht mehr öffnen und schließen. Trotzdem fange ich an, in einer Ecke unter dem Regal ein Stück vom Linoleum wegzureißen. Ich muss schauen was darunter ist.  Kann nicht anders. Und finde heraus: Kleber. Alles sehr gut verklebt. Ich drücke das weggerissene Linoleumstück wieder auf den Boden, stelle das Regal drauf und wende immer leicht den Kopf von der beschädigten Ecke weg, wenn ich daran vorbeigehe.

2018 
Ein gutes Jahr. Die Dinge laufen, ich bin motiviert und wie eine Welle überkommt mich der Tatendrang. Ich reiße das Zeug jetzt raus! Komme was wolle, mir ist das jetzt wurscht. Das Linoleum muss weg. Und die Zwei-Euro-Ikea-Lampe auch, die vermutlich unter fürchterlichen Bedingungen produziert wurde. 

Freitag
Vormittag
Farbengeschäft. Aufenthalt eineinhalb Stunden. Dann hab ich endlich gewählt.
Nachmittag
Baumarkt. Spachtel, Lampe, Malersachen. Und einen neuen Duschvorhang brauche ich auch. Und einen Badewannenvorleger. Ach, und einen Steckdosenschraubenzieher, weil ich immer über das Akkuladekabel vom iPad stolpere und die Steckdose aus der Wand ziehe.

Samstag 
11:00 Uhr Ich räume mal schnell die Garderobe. Kann nicht lange dauern, steht ja nicht viel drin.
12:00 Uhr Doch nicht so wenig gewesen, aber jetzt ist sie leer, die Garderobe. Der Rest der Wohnung dafür verstellt und ich schweißgebadet. Wer hätte auch ahnen können, dass da so viel Platz hatte in diesem kleinen Raum. Eine Spinne war auch dabei. Eine Stadtspinne.
13:30 Uhr Fix und fertig. Ich bin von Kopf bis Fuß Staub, Dreck und Schweiß. Die Knie blutig, die Fingernägel abgebrochen und eingerissen, die Kehle wörtlich staubtrocken. Ich habe natürlich ohne Maske gearbeitet. Und er war halt so fest, der Linoleumboden. Die haben das schon gut gemacht damals. Gut angeklebt, muss man sagen. Ich mit meiner neu gekauften, kleinen Abkratzspachtel fühlte mich der fachlichen Kompetenz der Linoleumhandwerker etwas unterlegen. Zum Ausgleich habe ich gewütet. Wüten müssen. Gerissen, gezerrt, keine Geduld mehr, weg damit, raus, raus, raus, Staub, hinfallen, kriechen, kratzen, schaben, wieder reißen, Schweißbäche entlang meiner Wirbelsäule und über das Gesicht. Ich hab schon gemerkt, dass sich ein Teil des Bodens darunter mit dem Linoleum ablöst und wegbricht. Aber was hätte ich denn machen sollen? Mittendrin aufhören und die Feuerwehr rufen? Na! Weg ist es jetzt, das Linoleum. Säckeweise habe ich das Zeug runter geschleppt und in die Mülltonne geworfen. Weg ist es!! Und Loch halt im Garderobenboden.
13:35 Uhr Fotos vom Boden an Tom geschickt. Er soll damit zum Obi fahren und das passende Flickzeug kaufen. Die werden schon wissen, was ich da brauche.
13:37 Uhr Der handwerklich sehr geschickte und sehr erfahrene Tom ruft an. Ich höre an seiner Stimme, dass er sich etwas fürchtet. Das Loch in meiner Garderobe ist offensichtlich besorgniserregender als ich es mir gestattet habe, wahrzunehmen. Ich fürchte mich auch. Also sage ich zu Tom: Mir macht das gaaar keine Sorgen! Das geht schon! Kauf das Zeug!
14:00 Uhr Tom ist recht wortkarg, während wir die Packungsaufdrucke lesen. Er beginnt zu schaben und zu kratzen. Ich rechne und mische. Wir schütten, schmieren, beobachten. Die Spannung im Raum, der an eine verfallene Bruchbude erinnert, ist zum Zerreißen gespannt. Mein Blick fällt auf die braunen Flecken unter der Therme, die schwarzen Spuren des Fahrradreifens, die dreckigen Türen, den gelben Kleber, wo vorher die Randleisten waren, die Löcher im Putz. Mir wird ein bisschen schwindelig.
15:00 Uhr Die geflickten und verspachtelten Stellen beginnen zu trocknen.
Plötzlich sagt Tom: Vielleicht wird das ja was.
Ich bin entrüstet: ABER SICHER WIRD DAS WAS!!
Tom sagt, ich soll nicht so schreien.
16:30 Uhr Das Loch im Boden ist zu. Die geflickten Stellen trocknen gut. Sind halt ein bisschen rau. Uneben. Wir sind eben doch keine Profi-Handwerker. Ich brauche also Schmirgelpapier. Und mehr Spachtelmasse.
17:00 Uhr Das Farbengeschäft hat zu.  Wir telefonieren, googeln, beratschlagen und fahren dann doch nochmal zum Obi. Laufen rein, zack zack, Durchsage: Wir schließen. Kassa, Raus. Hinter uns werden die Türen versperrt.
19:15 Uhr Alles verputzt. Jetzt warten. Feierabend für heute.
(Ich kann den Tom nicht so schinden.)
22:20 Uhr Ich hab doch noch aufgeräumt, staubgesaugt, gewaschen und alles abgeklebt für morgen.

Sonntag
05:45 Uhr Ich kann nicht mehr schlafen. Malergewand angezogen, Geschirrtuch um den Kopf gebunden. Will loslegen. KEINE MALERROLLE! Ich kann es nicht fassen. Wie wenn man kurz die Geldtasche verloren glaubt, für ein paar Sekunden der Panik verfällt, und dann ist sie doch da, samt allen Scheinen, Münzen und Karten, ganz und unversehrt. So dachte ich, die Malerrolle würde jeden Moment auftauchen. Aber nein. Keine Erleichterung. Keine Malerrolle. Sonntag.
06:43 Uhr Ich hab meine Nachbarin im Urlaub angerufen. Sie hat leider auch keine Malerrolle.
07:05 Uhr Untätiges, verwirrtes Herumstehen. Ich werde gezwungen doch erst einen Kaffee zu trinken, bevor ich mit der Arbeit fortfahren kann.
09:00 Uhr Meine Schwester fährt mit ihrem kleinen Sohn quer durch die Stadt, nachdem sie Malerrollen im Keller ausgegraben hat. Dankeeeeee!!
09:10 Uhr Übergabe am Spielplatz unten am Eck. Der Neffe so Zucker, ich könnt ihn mir zum Frühstück auf’s Brot schmieren. Also bleib ich noch ein wenig.
10:30 Uhr Jetzt rentiert es sich leider nicht mehr, die Wandfarbe anzupatzen, bevor Tom kommt und wir mit dem Boden weitermachen. Also mache ich erst mal Frühstück.

Montag
17:30 Uhr Der Garderobenteppich ist im Waschsalon und dreht sich im Schaum. Sieben Euro kostet das. Ich hab in extra abgewogen: acht Kilo. Und dann in die Maschine gestopft, viel Waschmittel rein geschüttet und auf Start gedrückt. Beim Rausgehen hab ich das Schild gelesen: Teppiche waschen verboten! Jetzt fürchte ich mich schon wieder ein bisschen. Bei mir zuhause in der Waschmaschine drehen sich die Vorhänge und die Putzfetzen. Der Magen knurrt, die Haare sind dreckig, der Rücken tut weh und es ist immer noch so viel zu tun. ABER: Das Loch ist zu, der Garderobenboden begehbar, die Wände gestrichen, die Regale geputzt, die Schuhe geordnet, die neue Lampe montiert. Sie leuchtet sehr warm. Ein bisschen zu warm vielleicht. Wenn man rein kommt und das Licht aufdreht, hat man das Gefühl, es ist Weihnachten. Vielleicht tausche ich die Glühbirne also nochmal um. Ansonsten bin ich mit allen Käufen und Entscheidungen zufrieden. Endlich. Wie ich das alles geschafft habe, ist mir selbst nicht so ganz klar. In meiner Erinnerung verschwimmt alles, was gestern nach dem Frühstück passiert ist. So, als drehten sich die einzelnen Handgriffe und Ereignisse in der Waschmaschine mit dem verbotenen Teppich. Ich sehe nur noch Lehmputzrot und Henry-Grau, Spachtelmasse, weiße Farbe, staubige Zementwolken, Holzkisten, Staubsauger, Bohrmaschine, und meine Hand, die den Boden schleift, schleift, schleift und die Wände abkratzt und sich um die Teleskopstange der Malerrolle windet. Um 22:30 Uhr war ich fertig. Himbeerjoghurt zum Abendessen, Dusche, Bett, wirre Träume wie schon ewig nicht mehr. Ich bin kurz vor 06:00 Uhr vollkommen gerädert aufgewacht und habe gleich wieder angefangen mit den weiteren Arbeiten. Ausmisten, wegschmeißen, sortieren, immer und immer wieder staubsaugen, schleppen, wegbringen, umtauschen, einordnen, putzen und schlussendlich eben waschen…..
     Hätte ich im Vorhinein gewusst, was bei diesem Unternehmen alles auf mich zukommt, ich hätte bestimmt nicht damit angefangen. Es ist also vielleicht gar nicht so verkehrt, manchmal etwas blauäugig an eine Sache heranzugehen. Nachdem ich losgelegt hatte, blieb mir schließlich nichts anderes über als weiterzumachen. Und nun bin ich doch endlich fast fertig. Jetzt hole ich nur noch den Teppich aus dem Waschsalon und hoffe, dabei nicht verhaftet zu werden.
18:35 Uhr Ich hätte den Teppich wohl nicht mit 95° waschen sollen. Das dezente Muster ist nun ein ziemlich grauenvolles Einheitslila. Lupenreinsauberer Teppich in Mülltonne jetzt.
19:45 Uhr Ich nun endlich auch wieder lupenreinsauber von Kopf bis Fuß. Und glücklich. Nächstes Renovierungsprojekt dieser Art frühestens in ein paar Jahren wieder. Mal sehen, was ich heute träumen werde.


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    Julia Koch

    Schauspielerin.
    Schreibende.
    ​In Wien.
    ​

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