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Dear Life. Hello.

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ụn·päss·lich

3/24/2018

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Ich wollte ganz bestimmt von Abenteuern berichten diese Woche. Leider fühlte ich mich unpässlich und konnte die Wohnung nicht verlassen, um diese zu bestreiten. Unpässlich. Ich weiß nicht, woher dieses Wort plötzlich kam. War auf einmal da und nistete sich in mir ein wie die Bakterien, die mich pünktlich zum Frühlingsbeginn doch noch zur Strecke brachten. Haben mir meine Kräfte geraubt und ein bisschen auch den Verstand. Fesselten mich an Bett und Couch. In meinem Kopf hieß das ja unpäßlich. Aber im Internet unpässlich, wegen der „neuen“ Rechtschreibung, die bei mir eigentlich ohne Anführungszeichen geschrieben wird, weil ich sie immer noch neu finde, nicht „neu“. Ich habe unpässlich jedenfalls gegoogelt, weil ich mit Sicherheit noch nie unpäßlich oder unpässlich geschrieben oder gesagt hatte. Wie käme man auch dazu. Offensichtlich kommt es zu einem und zwar intuitiv im richtigen Moment: unpässlich. Unpässlich sein. Sich unpässlich fühlen. Und es ließ mich nicht mehr los. Drängte sich in jeden Satz, der mir durch den Kopf ging. Wie zuverlässig akkurat das Unterbewusstsein doch arbeitet:

ụn·päss·lich
Adjektiv,  veraltet gehoben
So, dass man sich nicht wohl fühlt, weil man (auf harmlose Weise) krank ist.
„sich unpässlich fühlen“


Mein Blick auf die Wohnung waagrecht. So nahm ich den Staub in den Ecken des Raumes und die Flusen am Teppich vor mir deutlich wahr. Aber ich fühlte mich eben zu unpässlich, um mit dem Staubsauger hantieren zu können. Das war dann stundenlang meine größte Sorge: wer denn nun den Teppich staubsaugen würde. Und kochen. Wer würde mir eine Hühnersuppe kochen? Ich wollte niemanden anstecken oder zur Last fallen. Und irgendwie würde es mir ja auch zur Last fallen, wenn ich als unpässliche Gastgeberin auf der Couch lag, während jemand in der Küche werkte. Das würde mich total stressen. Ich würde dann ja doch nur aufstehen und dem Helfer den Kochlöffel aus der Hand nehmen. Das kann ich irgendwie nicht, den Kochlöffel aus der Hand geben. Also schleppte ich mich mit letzter Kraft in den Laden und wieder in die Küche, warf alles in den Topf und mich zurück auf die Couch.
      Es klingelte an der Tür. Die GIS vermutlich. Oder Zeugen Jehovas. Oder Ina von oben. Leider war ich aber unpässlich und konnte nicht zur Tür. Ich trug Leggings und dicke Stricksocken mit einem Loch im rechten Fersenteil, weil der rechte Fuß minimal größer ist als der linke, und dadurch die rechten Socken in den Stiefeln schneller aufgerieben werden. Über den dicken, verfusselten Stricksocken hatte ich noch dickeren Fellpatschen an, damit mir ja nicht kalt an den Füßen wurde. Die Füße, sagt man doch, die müssen warm sein. Dennoch war mir kalt. Nicht nur an den Füßen, auch oben. Obwohl ich kein Fieber hatte. Ich habe nie Fieber. Wenn ich krank bin, sinkt meine Körpertemperatur. Untertemperatur. Zweiunddreißigirgendwas. Da ist einem dann auch kalt. Und so entschied ich mich für einen braunen Rollkragenpullover unter einem übergroßen, ebenfalls verfusselten Strickpullover. Ein blau gebatikter Schal dazu. Die Haare wirr und nur zur Hälfte nach oben zusammengebunden, das Gesicht gelblichblass und die Nase untenrum aufgerieben und rot. Große, braune Hornbrille statt den Kontaktlinsen, weil die Augen juckten. So saß ich da auf der Couch, von gebrauchten Taschentüchern umgeben, Hühnersuppe löffelnd, als es an der Tür klingelte. Ich erstarrte. Unpässlich, unpässlich!, dachte ich, und meinte auch ein wenig unpassend. Ich wartete regungslos, bis ich glaubte, das Stiegenhaus müsste nun wieder menschenleer sein. Ich öffnete leise die Tür zur Garderobe, schlich zur Wohnungstür, schob vorsichtig die Jacken vor dem Guckloch weg und lugte durch die kleine, runde, die Welt verzerrende Öffnung. Keiner mehr da. Zum Glück. Einerseits. Langweilig andererseits. Irgendwie wünschte ich jetzt doch, es gäbe einen Konflikt. Nach drei Tagen auf der Couch fällt einem eben ein wenig die Decke auf den Kopf. Fad wird einem. Fad. Man fadisiert sich (in Wien), wenn man unpässlich alleine zuhause herumhängt. Lesen und schreiben ist nämlich nach einiger Zeit einfach zu anstrengend, besonders wenn man ein Prisma hat. Auch das habe ich gegoogelt, das Prisma. Es handelt sich in diesem Zusammenhang um eine Winkelfehlsichtigkeit, ein verstecktes (auch: latentes) Schielen. In der Tat habe ich einen leichten Silberblick, den man mir ansieht. Das allerdings ist nicht das Prismaproblem. Meine Winkelfehlsichtigkeit bezieht sich nämlich auf Höhenunterschiede, nicht auf das Links-Rechts-Schauen. Jedenfalls erschwert es das Lesen an Tagen der Unpässlichkeit enorm, wenn man alle Buchstaben erstens doppelt und zweitens wie hunderte fragile Insektenskelettchen übers Papier und den Bildschirm krabbeln sieht.
     Mir blieb also nur das Filmschauen, um mich berieseln und zur Ruhe kommen zu lassen. Ich entschied mich für „Wild Wild Country“, eine Dokumentation über die Sekte des in den Siebzigern und Achtzigern bekannten Gurus Osho. Sehr interessant, wenn auch wenig beruhigend. Aufgewühlt über menschliches Verhalten brach ich nach der zweiten Folge ab und wechselte zu Spielfilm, der mit Ryan Gosling und Eva Mendes am Cover vielversprechend nach hollywoodscher Unterhaltung aussah. Ich lese nicht gerne Inhaltsangaben und schaue keine Trailer, weil ich nicht im Vorfeld wissen möchte, was mich erwartet. Ich hätte allerdings wenigstens die düsteren Blicke der Beiden am Cover beachten sollen. Habe ich nicht. Und so also: der coolste Bankräuber aller Zeiten (gleich nach Bonnie, Butch und Sundance Kid) wollte seinen einjährigen Sohn versorgen und seine Freundin zurück. Ergo die Raubzüge. Er wurde jedoch (Achtung!) erschossen, fiel rückwärts aus dem Fenster und blieb reglos am Boden liegen. Ich habe lange noch daran festgehalten, er würde schon wieder aufstehen. Schließlich waren wir erst in der Hälfte des Films. Aber die verbogenen Gliedmaßen, der starre Blick und die große, dunkle Blutlacke um den Kopf des Hauptdarstellers waren ebenso endgültig wie das Bild, in dem Paul Newman und Robert Redford am Ende ihrer Geschichte begleitet von Kugelhagelgeräuschen für immer stehengeblieben waren. „The Place Beyond the Pines“ nun führte seine Schrecken allerdings auch ohne Ryan Gosling noch weiter. Korrupte Cops, verzweifelte Frauen, vaterlose Kinder – kurz, ebenso „unpässlich" wie die Osho-Doku. Ich musste auch diesen Film abbrechen. Mit „Gilmore Girls“ traf ich dann eine sichere Wahl. Selbst als Lorelai und Lukes Beziehung durch ungünstiges Timing in die Brüche ging und beide mit gebrochenem Herzen weiter durch die Serie zogen, blieb noch ein rosa-wohliges Gefühl im Wohnzimmer zurück. Flimmernd kreierten die Bilder endlich eine angenehm unbedeutsame Welt um mich, die den geringsten Energieaufwand von mir erforderte, wodurch ich langsam wieder Kräfte sammeln konnte.
     So kommt es, dass ich heute schon wieder auf den Beinen bin, mehr Hunger habe und mit dem ausgekochten Suppenhuhn Risipisi gemacht habe. Allerdings so viel, dass ich drei Tage lang Risipisi essen werde. Je mittags, abends und zum Frühstück. Es riecht jetzt wie in Omas Küche früher. Auch in die Dusche habe ich es mittlerweile wieder geschafft und ein frisches „Ensemble“ angezogen, das etwas weniger unmöglich ist als das vorangegangene. Ich trage jetzt immerhin farblich passendere Kleidung und Socken ohne Löcher. Es geht bergauf. Nur zum ersten kurzen Spaziergang habe ich mir noch zwei unterschiedliche Stiefel angezogen. Unpässliche Stiefel - das glaubt mir keiner!, dachte ich, als ich an mir runter auf den dunkelbraunen rechten und den hellbraunen linken Stiefel sah, und das Husten klang schon wieder ein wenig nach Lachen.
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    Julia Koch

    Schauspielerin.
    Schreibende.
    ​In Wien.
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