L.
  • Blog
  • Prolog
  • Index

Dear Life. Hello.

Picture
Picture
Picture
Picture

Up Close and Personal

4/16/2017

0 Comments

 
Picture
Ich und mein Körper. Mein Körper und ich. Ein zwiegespaltenes Verhältnis.
     Als Kind fühlte ich mich wohl in meinem Körper. Das war einfach so. Eine Tatsache. Ein Zustand, der Teil meiner Normalität war und deswegen weder in Frage gestellt noch reflektiert wurde. Mein Körper war Ich. Ich war mein Körper. Ich war zuhause in mir. Wie ein Fisch im Wasser. Rote  juckende Punkte auf der Haut waren vorübergehend, blaue Flecken cool, und Bauchweh etwas, durch das man eben manchmal durch musste. Unangenehm halt, aber nicht weiter besorgniserregend. Mit der Pubertät veränderte sich die Wahrnehmung meiner selbst, wie bei den meisten Jugendlichen. Ich begann mich mit den Augen der anderen zu sehen und stellte Vergleich an. Mein Körper plötzlich etwas zum Anschauen. Nicht nur zum drin Wohnen. Und damit kam ich nicht so gut klar. Viel zu viel Stress die neuen Kriterien, denen es zu entsprechen galt. Ich wehrte mich dagegen. Ich wollte nicht entsprechen müssen. Ich wollte nicht erwachsen werden. Und gleichzeitig wünschte ich mir bitte die größten Brüste in der Klasse, damit ich auf der Werterangliste den Kopf über Wasser halten konnte. Wert oder Nichtwert, schön oder unschön maß man in der Schule daran, ob man einen Freund hatte. Und ich hatte nie einen. Sehnte mich aber danach. Die freundlosen Jahre vergingen sehr langsam und ließen mich immer mehr an mir selbst zweifeln. Eskaliert ist die Situation dann als ich sechzehn war. Während meines Auslandsjahres in den USA. Virginia. Südstaaten. Das bedeutet: Reis wurde mit derselben Menge Butter wie Wasser gekocht und auf das weisse, weiche Sandwichbrot kam  haufenweise Peanutbutter und Jelly. Zu Mittag gab es Schulkantinenessen, und so viel Mühe ich mir auch gab, die Portionen am Tablett zu identifizieren, oft kam ich zu keinem Ergebnis. Abends dann Essen aus der Packung oder von Taco Bell und Pizza Hut. Und zu speziellen Anlässen gab es Eis von Dairy Queen oder Süßes von Dunkin Donuts. Auch zu nicht so speziellen Anlässen. Grauenvoll. Und ich liebte es. So nahm ich innerhalb kürzester Zeit 15 Kilos zu und kannte mich überhaupt nicht mehr aus. Hoffnungslos verloren im eigenen Körper. Meine Schulkollegen schien das nicht zu stören. Erstens fiel ich unter ihnen überhaupt nicht auf mit meinem 15-Kilo-Plus und zweitens hatte ich bei einem Schooltrip freimütig von mir gegeben, dass ich natürlich Sex haben wollen würde, hätte ich einen Freund. Zuhause in Österreich galt es als fürchterlich peinlich, immer noch Jungfrau zu sein in meinem Alter. Aber in Galax, Virginia, brachte mir diese Aussage den Ruf einer Hure ein und man konnte am Schulklo meine Nummer an die Wand gekritzelt finden – mit der Aufforderung, bei Bedarf anzurufen. Damals natürlich hatten noch kaum jemand ein Handy. Es war also die Nummer meiner Gastfamilie, was zu unangenehmen Gesprächen mit meiner Host-Mom Toni führte, die sich riesig um mich sorgte. Dabei hatte ich doch noch nicht mal jemanden geküsst. Ich kam über die Angelegenheit hinweg. Über das Verhalten der verstörten High School Kids. Mit meinem gewichtigen Körper kam ich allerdings nicht zurecht. Das verstärkte sich noch, als ich zurück nach Europa kam. Ins kleine Europa. Alles so klein hier. Kleine Autos, kleine Apfelbäumchen, kleine Kaffeetässle. Sogar die Worte waren klein. Kein XXL mehr. Keine Jumbo-Größen, sondern eben kleine Kaffeetässle. Und kleine, zierliche Menschen. Plötzlich war ich ein Riese. Ein riesiges Walross. Ich zog mich immer mehr in mich zurück, obwohl ich das Gegenteil wollte. Ich wollte raus! Raus aus meinem Körper, raus in die Welt, raus ins Abenteuer! Aber nicht so. Nicht so wie ich war. Nicht bevor ich die fünfzehn Kilo wieder abgenommen hatte. Ich blockte jeden Annäherungsversuch ab – ich wollte nicht, dass mir irgendjemand nahe kam. Keiner sollte mich sehen. Keiner sollte mich bemerken. Mein bester Freund war ein übergroßer dunkelblauer Pulli, den ich Tag und Nacht anhatte. Wohl gehört vom Jo-Jo-Effekt, hielt ich ihn dennoch für einen Mythos und reihte in gleich neben dem Ozonloch ein. Eine Crashdiät nach der anderen folgte. Ich wollte schließlich so schnell wie möglich meinen alten, meinen eigentlichen Körper zurück. So kletterte der Zeiger der Waage nach oben, und der Hass auf mich selbst mit ihm. Irgendwann hörte ich auf, mich zu wiegen. Aber die Kluft zwischen mir und meinem Körper wuchs.
     Manchmal denke ich, das ist es, was mich krank gemacht hat. Dieser Selbsthass. Dieser Ekel vor mir selbst. Vor meinem eigenen Körper. Dieses Gefühl, in mir selbst gefangen zu sein und aus mir raus zu wollen. Einen anderen Körper haben zu wollen. Man weiß es nicht. Es spielen immer mehrere Faktoren eine Rolle. Hab ich dann im Krankenhaus gelernt. Mit einundzwanzig. Ich wurde nach zwei Operationen einige Wochen später entlassen. Mit der Hoffnung meinerseits, dass nun alles gut werden würde. Dass sowohl alle Krankheit als auch Selbsthass operativ entfernt worden waren und ich zurück zu meinem glücklichen, gesunden Körpergefühl finden würde. Dem war nicht so. Mit fünfundzwanzig hatte ich die x-te OP hinter mir und wurde mit vielen Narben und vollends verwirrt und verzweifelt zum letzten Mal entlassen. I hit rock bottom, wie die Amerikaner so schön sagen. Tiefpunkt.
 Es dauerte Jahre mich langsam, langsam wieder aufzurichten. Einzurichten. Einzufinden in mir selbst. Und es bedurfte mehr als Crashdiäten. Ich habe sehr viel Zeit damit zugebracht, mich damit zu beschäftigen, wie und was denn jetzt gesund ist - für mich. Für Körper und für Geist. Und wie ich mich wohl und sicher fühlen kann in meinem Körper. Und ich bin noch mittendrin in diesem Prozess. Gesund. Ja. Aber immer noch pendle ich ein wenig zwischen innerer Ruhe und Angst. Zwischen Wohlfühl- und Unwohlfühlkörper. Immer noch schwankt meine Selbstsicherheit und mein Selbstbewusstsein, oft in Abhängigkeit von Reaktionen meines Umfelds. Aber die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema „Körper und Ich“ hat mich wachsen lassen. Ich kann mich inzwischen beispielsweise besser ernähren und bin (nicht nur deswegen) wesentlich fitter und stärker als früher. Ich habe die +Kilos abgenommen und arbeite trotzdem fest daran, weder die Wage noch anderweitige von aussen suggerierte Kriterien mein Wohlbefinden messen und bestimmen zu lassen. Und phasenweise fühle ich mich tatsächlich wieder wie ein Fisch im Wasser. Und das ist dann mein größtes, seeligstes Glück.
​
0 Comments



Leave a Reply.

    Julia Koch

    Schauspielerin.
    Schreibende.
    ​In Wien.
    ​

    RSS Feed

Proudly powered by Weebly
  • Blog
  • Prolog
  • Index