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Dear Life. Hello.

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Urlaub in der Künstler-WG

8/30/2019

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Die Tarotkarten sagen, ich brauche Sonne. Ich sofort Vorhänge beiseite. Fenster auf. Draußen  - mäh - mager. Gut. Ich ruf' den Tom an. Der hat ein Auto. Und der sieht das ein, das mit der Sonne. Hätt’ er mir allerdings auch sagen können, meint er. Hätt’ ich nicht die Tarotkarten fragen brauchen. Sind wir uns jedenfalls alle einig jetzt, der Tom, die Karten und ich. Also rufen wir Marcus an. Der ist da schon, in der Sonne, am Meer. Wir kommen! Urlaubs-WG ahoi! 
    Mein Zimmer ist das schönste. Das größte, das hellste, das luftigste. Direkter Zugang zum Balkon. Allerdings not airconditioned wie die anderen beiden Schlafräume. Ich schwitze also durch die Nacht, reisse mir den Pyjama vom Leib, der ohnehin schon so stoffarm wie möglich gehalten ist, strample das dünne Laken vom Bett und strecke alle Viere in einem großen X von mir. Das finden die Mücken super. Glücklicherweise hat Tom alles mit. Überhaupt ALLES für ALLE Fälle. Unter anderem Histaxin. Das muss ohnehin weg, sagt der Tom, weil das ist vom letzten Sommer. Ich schmiere die Salbe auf die juckenden Punkte. Hilft. Trotzdem ziehe ich mir in der zweiten Nacht das Bettlaken bis zu Nasenspitze hoch. Am Morgen habe ich zwei Stiche auf der Stirn und sehe ein wenig aus wie ein Kälbchen. So Hornansätze. Ich suche das Histaxin. Auf der Packung steht: aufzubrauchen bis 07/2014. Von wegen letztes Jahr gekauft! Ich schimpfe ein bisschen, schmiere aber trotzdem. Tom meint, beim Histaxin ist das wie bei einem guten Wein: auf die lange Lagerung kommt’s an. Erst der richtige Reifegrad ist wirklich effektiv. Und in der Tat schwellen die kleinen Hügel auf der Stirn recht zügig wieder ab. 
     Die Tatsache, dass das Histaxin hilft, bestätigt jedoch eine Befürchtung meinerseits, die ich in den letzten Wochen schon gehegt habe: ich leide vermutlich (fürchterlich) an einer Histaminunverträglichkeit. Diese - so die Onlinerecherche - macht nämlich diverse Probleme und erklärt all meine Symptome der jüngsten Vergangenheit. Schlaflosigkeit, Zittern, Herzrasen, Bauchweh, Erschöpfung, Nervosität, um nur ein paar davon zu nennen. Ich zähle das jetzt so nonchalant hier auf, aber Marcus und Tom erkläre ich meinen Zustand von unlängst penibel detailliert. Jetzt, ja jetzt! geht es mir schon besser. Jetzt laufe ich den Hügel in der Mittagshitze hier hoch wie nix. Aber vor kurzem noch - halleluja! - vor kurzem bin ich noch gespensterblass durch die Gänge der Bibliothek geschlichen und schaffte es kaum, mich aufrecht zu halten. Und nachts krochen dann die Dämonen der Angst von allen Seiten zu mir ins Bett und flüsterten fröhlich, es sei nun aus mit mir. So ging es mir da! So! Und alles nur wegen des Histamins, wie sich jetzt bestätigte. Die beiden Zuhörer haben keine Einwände. Sei’s aus Zustimmung oder aus Hoffnung, ich möge meinen Monolog beenden - ich fühle mich jedenfalls bestärkt in meiner Vermutung und weigere mich von nun an, Meeresfrüchte zu essen oder Fisch, dessen Kühlkette mir nicht bekannt ist und folglich unterbrochen worden sein könnte. Außerdem keine Tomaten, Melanzani, Avocado, Bananen oder Ananas. Und nichts, was nicht wirklich frisch ist. Es gibt genug Listen im Internet zum Thema Histamin. Den beiden Mitbewohnern ist es recht, dass ich mir mein Essen selber koche.  
    Am ersten Morgen ist es still, als ich die Terrasse betrete. Marcus, zwischen Büchern, hat Kopfhörer und Sonnenbrille auf. Sagt nichts. Ignoriert mein Guten Morgen. Tom und ich tappen auf leisen Sohlen herum, schlürfen vorsichtig unseren Kaffee und wissen nicht so recht, wohin schauen. Erste WG-Interventionssitzung. Kommunkation, Marcus! Kommunikation bitte! Macht er dann auch glatt. Sagt: er braucht die erste Hälfte des Tages zum Arbeiten. Punkt. Und so sitzen wir jetzt alle Drei vormittags auf der schattigen Terrasse um den großen Tisch. Jeder mit einem kleinen silbernen Laptop mit Apfellogo. (Ein bisschen schämen wir uns dafür. Und ein bisschen gefällt uns das.) Wir denken, tippen, blättern, suchen, lesen, tippen weiter. Konzentriert. Drei rauchende Künstlerköpfe auf einer rosaroten Terrasse, umgeben von satt pinken Blütensträuchern, Palmen und Pinien. Wenn die Akkus leer sind, gehen wir ans Meer, und die Laptops stecken wir mittlerweile an den Strom. Ich natürlich kann nur mit 50er-Sonnenschutz und großem Strohhut das schützende Dach der Terrasse verlassen. Sonnenallergie. Da schmiere ich mir dann über die fettige Sonnencreme gleich auch noch Histaxin - hilft! - und liege träge unter Föhren, blinzle in das helle Glitzern des Wellen und beginne, mich zu langweilen. 
     Ich sekkier den Marcus. Der hat eine Kamera mit. Nur ein kleines Fotoshooting, sage ich. Ganz kurz nur, bitte bitte, nur eine halbe Stunde! Wir fangen an, da ist die Sonne golden und hören auf, als die Kamera nur noch Nachtschwarz festhält. Eine lange halbe Stunde. Ich hoffe, Marcus hat das nicht bemerkt. Die Euphorie überwiegt mein schlechte Gewissen allerdings. Überwiegt alles. Übertönt die Hitze, den Schweiß und die schlaflosen Nächte. Trumpft Mückenstiche,  Sonnenallergie und Histaminunverträglichkeit. Zur Feier des Tages gehe ich mit den Jungs ins Restaurant und bestelle Trüffelpasta. Weil den Histamingehalt von Trüffeln kann ich auf keiner Liste finden. Trüffel geht also. Und schmeckt königlich. Auch der Sternenhimmel ist königlich. Die würzige Luft… Diese Nacht schlafe ich tief und ruhig. 
     Inzwischen haben wir uns eingegroovt, wir Drei. Die WG hat ihren Rhythmus gefunden. Die Türen werden auf Toms Ansuchen hin weniger energisch geöffnet und zugeknallt, wenn einer - zum Beispiel er, der Tom, nur zum Beispiel - noch schläft in der Früh, Marcus sagt höflich Guten Morgen und ich bemühe mich, meine Monologe kürzer und das Drama in Grenzen zu halten.
       Schön ist es hier!
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    Julia Koch

    Schauspielerin.
    Schreibende.
    ​In Wien.
    ​

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