L.
  • Blog
  • Prolog
  • Index

Dear Life. Hello.

Picture
Picture
Picture
Picture

Wo ich dem Fuchs Gute Nacht sage und der Tod mit mir spazieren geht

11/30/2019

0 Comments

 
Picture
Picture
Das erste, was ich mache, nachdem ich angekommen bin: ich gehe zum Lagerhaus und kaufe mir ein paar neue Arbeitshandschuhe. Die brauche ich zum Heizen. Wegen der Sprießen und wegen des Rußes. Heizen ist hier das Wichtigste in dieser Jahreszeit. Also gehe ich zum Lagerhaus. Größe 7 hat ein braunes Rändchen, das gefällt mir am besten. Leider etwas zu kurz. Ich entscheide mich also für die mit dem roten Rändchen. Größe 8. Ich gehe zur Kassa, niemand da. Eine ältere Frau kommt herein und steuert direkt auf mich zu. „Koid.“ Inzwischen verstehe ich den hiesigen Dialekt und die Einsilbigkeit der Ortsansässigen. „Ja, kalt ist es.“, erwidere ich, aber die Alte hat sich schon abgewandt und studiert die beiden Todesanzeigen, die über der Kassa mit Tixo an der Wand befestigt sind. Jetzt kommt auch der Verkäufer. Stummer Schnauzbart. Die Frau will wissen, wer denn der Ferdl Heinisch war. Ob das der Schwager von der Heinisch Susanne war. Der Schnauzbart piept meine Arbeitshandschuhe ab. „Net da Schwager. Da Schwiegervater. Viersechz’g.“ Ich brauche einen Moment, um zu verstehen, dass nicht das Alter des Verstorbenen gemeint ist, sondern der Preis meiner Arbeitshandschuhe. Die alte Frau meint, es sei ein Wahnsinn, alle stürben sie. Hier überhaupt. In Reingers waren sie vor nicht allzu langer Zeit noch ganze dreihundertsechzig Einwohner gewesen, die mittlerweile auf magere zweihundert geschrumpft wären. Ich lege die Münzen abgezählt auf den Tresen und verabschiede mich. Alle stürben wir, gibt mir die Alte aus Reingers nochmal eindringlicher statt eines Grußes mit auf den Weg.
     Das Feuer brennt jetzt, das Bett ist bezogen, der Kühlschrank gefüllt und ich beschließe, vor dem Abendessen noch einen Spaziergang zu machen – dick eingepackt. Beim Gartentor weht mir der eisige Nordwind entgegen und bringt getragene Trompetenklänge mit sich. Ich drehe den Kopf Richtung Kirche. Die Straße von dort zum Friedhof führt unten am Hügel vorbei und ich sehe durch kahle Birken und Buchen einige alte Männer nicht ganz im Gleichschritt langsam die Straße entlang marschieren. In Schwarz und mit Trompeten und Trommeln. Vielleicht ist das der Ferdl, den sie da begleiten. Schleppend. Schleppende Schritte. Schleppende Musik. Ich gehe in die andere Richtung los, nach hinten aus dem Dorf raus, in den Wald. Kein Besuch im Waldviertel ohne Beerdigung, denke ich. Als wir das Häuschen hier renoviert haben, mussten wir Säge und Schlagbohrer regelmäßig pausieren, um die Zeremonien am Hang gegenüber nicht zu stören. Seit wir den Baustellenlärm eingestellt haben, ist es hier totenstill. Besonders nachts. Viel stiller als in meiner Wohnung in Wien. Und dunkler. Viel dunkler. Ich schlafe hier wie ein Stein. Auch meine Träume sind schwer, wie in Stein gemeißelt. Der Papa sagt, das kommt vom Granit, auf dem alles gebaut ist. Der strahle in geringen Mengen Radon ab, was für einen tiefen, dunklen Schlaf sorge.
    Inzwischen habe ich das erste Waldstück hinter mir gelassen. Immer noch wehen mir gelegentlich Musikfetzen der traurigen Trompeten um die kalten Ohren. Ich durchquere das nächste Dorf. Bunte, schäbige Fassaden, ein halb verfallener Hof. Keine Menschen. Niemand. Nie. Nur einmal, im Winter – es hatte eben geschneit – wurde meine Anwesenheit registriert. Links und rechts der Dorfstraße standen vereinzelt vermummte Gestalten mit Schneeschaufeln, die in behäbigen Bewegungen über den eisigen Boden kratzten. Alles hielt inne, als ich angestapft kam. Köpfe drehten sich langsam zu mir um, schauten, auf Holzstiele gestützt, wortlos. Verfolgten meinen Winterspaziergang durch ihr Dorf. Der Jäger kreuzte vor mir die Straße, das Gewehr am Rücken. Ein Hund jaulte hinter einer Hausmauer auf. Der Jäger versprach ihm, gleich wiederzukommen. Zu mir sagte er nichts. Und auch ich blieb stumm und dachte an eine Filmszene aus einem Western. Ein Western im wilden Norden. Auch diesmal jault der Hund hinter der Mauer wieder auf, wie jedes Mal, wenn ich an seinem Revier vorbeiwandere. Ich bin’s nur. Du kennst mich schon – die Spaziergängerin, sage ich und tu' so, als hätte ich nicht ein wenig Sorge, das Tor könnte diesmal offen sein.
    Durch Felder, vorbei an abgefischten Karpfenteichen und dem Pestkreuz. Dann durch den Höllgraben. Überall riesige Steine, Überreste des einst höchsten Gebirges der Welt. Ein Wegweiser zeigt mir die Richtung zum Galgen an, der da einst stand und funktionstüchtig seinen Zweck erfüllte. Die Spitze des Speicherturms vom Lagerhaus taucht hinter einer Biegung auf und kündigt meine baldige Rückkehr in den Ort an, als ich etwas weiter vorne am Weg ein kleines Fellknäuel liegen sehe, das mir entgegenblickt. Ein großer Hase vielleicht. Eine dicke Katze. Ich habe die Prismabrille nicht mit. Erst wenige Schritte entfernt, erkenne ich einen Fuchs. Mit Füchsen kenne ich mich nicht aus. Möglicherweise bedeutet diese Begegnung also mein tollwütiger Tod. Ich erstarre. Blicke dem Tier ebenso gebannt entgegen, wie es mir. Ruhig liegt er da mitten am Weg, die Schnauze auf den Vorderpfoten, und schaut mich an – der kleine rostrote Tod. Ich verharre noch einen Augenblick, zögere, setzte dann testend einen Fuß vor den anderen, gehe langsam auf den eingerollten Fuchs zu. Ich kauere mich vorsichtig in der Hocke neben ihn. Frage, was er will. – Er weiß es nicht. Ich warte noch ein wenig. Als ich wieder aufstehe, steht er auch auf. Tappt ein Weilchen hinter mir her und verschwindet dann auf leisen Sohlen zwischen den Tannen.
     Zuhause schlagen mir dichte sechsundzwanzig Grad entgegen und ich wickle mich umständlich aus den Winterkleidern. War vielleicht ein bisschen viel Holz. Aus dem Fenster luge ich durch das Dunkel zum Friedhof hinüber. Alles wieder ruhig. Der Ferdl schon unter der Erde. Im Granit. Vielleicht stirbt es sich hier deswegen ja so gut, wegen des Radons. Die da drüben schlafen sicher auch sehr tief. Ich grüße hinüber und denke an die alte Reingerin und ihre knappe Weisheit. Wir sterben alle. Ich weiß natürlich, dass der Tod mich überall hin begleitet, immer drei Schritte hinter mir. Aber im Waldviertel, da nimmt er mich an der Hand und geht mit mir spazieren.

0 Comments



Leave a Reply.

    Julia Koch

    Schauspielerin.
    Schreibende.
    ​In Wien.
    ​

    RSS Feed

Proudly powered by Weebly
  • Blog
  • Prolog
  • Index